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Neo-Extraktivismus in Serbien

Die Umwelt zerstören, um das Klima zu retten

Ohne CO₂ über die Autobahn rauschen – der ökologische Traum einer grünen Wirtschaft bedeutet die Ausbeutung der dafür notwendigen Rohstoffe in ärmeren Ländern. In Serbien formt sich Widerstand gegen den Raubbau an der Natur.

von Roland Zschächner

Oktober 2022

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Das Tal der Jadar im Westen Serbiens ist malerisch: eine Hügellandschaft mit Dörfern, Feldern und Weiden. Der Boden ist fruchtbar, sodass viele Menschen von der Landwirtschaft auf ihren eigenen Äckern leben. Doch wenn es nach dem britisch-australischen Bergbaukonzern Rio Tinto geht, könnte es hier bald ganz anders aussehen. Denn unter der Erde um Loznica gibt es reiche Beute: Lithium, Bor und andere wertvolle Bodenschätze warten nach Wunsch des Unternehmens nur darauf, zutage gefördert zu werden.

Lithium ist ein begehrtes Mineral. Es wird wie Kobalt oder Seltene Erden benötigt, um die in vielen Ländern ausgerufene grüne Wende zu vollziehen – weg von Verbrennungsmotoren hin zur individuellen Elektromobilität. Für Rio Tinto würde das satte Profite bedeuten. Lithium verteuert sich seit Jahren auf dem Weltmarkt und alle Voraussagen rechnen mit einem weiteren Anstieg des Preises, sodass bereits die Rede vom „weißen Gold“ ist. Da wundert es nicht, dass die in London ansässige Aktiengesellschaft die geplante Mine in Serbien gleich über mehrere Jahrzehnte betreiben will.

Vorerst sind die Pläne jedoch gestoppt. Im Januar 2022 zog die serbische Regierung nach Wochen des Protestes die Reißleine. Der Nutzungsplan für die Gegend wurde annulliert, schließlich fanden im April Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Bei denen wollte es sich die mächtige Serbische Fortschrittspartei von Staatspräsident Aleksandar Vučić nicht mit den Wähler:innen verscherzen. Zu malerisch ist die Mittelgebirgslandschaft: Felder und Wälder wechseln sich hier ab, das Grün der Wiesen und Bäume ist die bestimmende Farbe.

Doch die Menschen in den vom Bergbau betroffenen Regionen waren ob der überraschenden Wendung skeptisch. Nicht zu Unrecht, denn nun mehren sich die Zeichen, dass Rio Tinto weitermachen wird, wie unter anderem aus E-Mails und in die Wege geleiteten Bauvorhaben hervorgeht. Auch lehnt es die Regierung ab, den Lithiumabbau in Serbien generell zu verbieten. Das wird sich wohl auch nicht ändern, denn aus den Wahlen ging die rechtsnationalistische SNS als Gewinnerin hervor und auch Vučić wurde im ersten Wahlgang im Amt bestätigt.

Aufstieg in die Lithium-Weltspitze

Die Pläne für den Lithiumabbau gibt es schon länger. 2004 wurde in der Region um den Fluss Jadar, ein Nebenfluss der Drina, das Mineral Jadarit gefunden. Dabei handelt es sich um eine Verbindung von Lithium und Bor. Die Qualität des gefundenen Gesteins soll so gut sein, dass weitere Erkundungen betrieben und mit der Regierung in Belgrad Verträge geschlossen wurden. Das Land wurde so schrittweise für den Bergbau freigegeben.

Gleichzeitig gingen auch die Planungen immer weiter; Land wurde aufgekauft und ein Informationszentrum errichtet. Rio Sava heißt der lokale Ableger des Bergbaumultis, der sonst vor allem Gold und andere Edelmetalle schürft, nun aber dank der steigenden Nachfrage das Lithiumgeschäft für sich entdeckt hat. Insgesamt 2,4 Milliarden US-Dollar will das Unternehmen in Serbien investieren. Wenn alles wie geplant verläuft, sollen ab 2027 jährlich 58.000 Millionen Tonnen Lithium gefördert werden. Zur Einordnung: In einem Akku für das „Modell S“ von Elon Musks Konzern Tesla stecken rund 80 Kilogramm des Minerals.

Serbien würde zu einem der größeren Lithiumproduzenten der Welt aufsteigen und in einer Liga mit Australien oder Chile spielen. Die Regierung in Belgrad, die seit 2012 von der rechtsnationalistischen SNS gestellt wird, hofft sogar auf eine ganze Produktionsstrecke. So sollen auch Akkus hergestellt und diese recycelt werden. Tausende Jobs werden versprochen, künftig werde der Lithiumabbau direkt für einen Prozent und indirekt für vier Prozent des serbischen Bruttoinlandsprodukts sorgen, rechnet Rio Tinto auf seiner Homepage vor. Es wäre eine der größten Industrieinvestitionen in Serbien, dessen Wirtschaft von einer Deindustrialisierung gezeichnet ist.

Bewegung gegen die Regierung

Doch die versprochene Wirtschaftskraft hätte gravierende Folgen für die Natur im Jadar-Tal. Kritiker:innen warnen vor einer umfassenden Zerstörung der Umwelt sowie der Vergiftung des Grundwassers. Diese Befürchtungen sind nicht unbegründet, wie verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen nahelegen. Denn um Lithium zu gewinnen, muss das Gestein chemisch behandelt werden. Die Abwässer der Gewinnung sollen dann in riesigen Auffangbecken gesammelt werden.

Zwar behauptet Rio Tinto, alles würde nach strengsten Umweltstandards geschehen, doch wollen das die Bewohner:innen in den betroffenen Dörfern und Gemeinden nicht so recht glauben. Zu oft war der Minenbetreiber in den internationalen Schlagzeilen, weil er die Natur oder wichtige religiöse Stätten von lokalen Communities zerstört hatte.

Deswegen fanden sich die Bewohner:innen der Dörfer in der Region zusammen und organisierten Protest gegen das Vorhaben. „Ne damo Jadar“ (Wir geben Jadar nicht her) heißt eine der Gruppen, die seit vergangenem Jahr nicht nur in Loznica, sondern mittlerweile im ganzen Land bekannt sind. Denn die Wut über die geplante Umweltzerstörung entwickelte sich zu einer der größten und mächtigsten Bewegungen, die Serbien in den vergangenen Jahren gesehen hatte.

Zehntausende Menschen nahmen an den Protesten teil. Sie besetzten wichtige Straßen und legten den Verkehr lahm. Über die politischen Lager hinweg – die Teilnehmenden lassen sich von links über liberal bis reaktionär-rechts einordnen – gewann die Umweltbewegung an Kraft. Dazu hat auch beigetragen, dass das Lithiumprojekt offen sichtbar gegen die Interessen der Menschen und deren Lebensgrundlage gerichtet war. Zu groß war der Widerspruch zwischen dem von Vučić und seiner SNS vor sich her getragenen Patriotismus und der absehbaren Zerstörung der Umwelt.

Vom Zentrum ausgehend

Dazu beigetragen hat auch die Intransparenz der Regierung. Was in Loznica geschehen soll, wurde entweder verschwiegen oder nur in von Werbeagenturen präsentierten Informationshäppchen präsentiert. Die Angst vieler Bewohner:innen um ihre Heimat hatte in den Reden der Politiker keinen Platz. Vielmehr wurden sie als Bremser dargestellt, die der grün-ökologischen Entwicklung Serbiens im Weg stünden. Dabei verstehen sich nicht viele der betroffenen Bäuer:innen als naturverbunden und haben einen engen Bezug zu dem Land, auf dem sie leben und das sie teilweise bereits seit Generationen bewirtschaften.

Als die Regierung im November 2021 auch noch ein Gesetz verabschiedete, um einfacher Land für Großprojekte enteignen zu können, lief das Fass über. Nun ging es nicht mehr nur allein um das Schicksal der westserbischen Region, sondern um die weit größere Frage des Ausverkaufs des Landes. Dieses Problem ist nicht neu. Immer wieder konnten sich die oftmals internationalen Käufer:innen durchsetzen – ob bei der Errichtung von kleinen Wasserkraftwerken in wilden Flüssen, der Privatisierung von Betrieben oder der Ausbeutung von Rohstoffen. Doch in der Zwischenzeit formierte sich eine Widerstandsbewegung, die sowohl Menschen über die direkt Betroffenen hinaus mobilisieren konnte als auch von weiten Teilen der Bevölkerung unterstützt wird.

Doch was als einzelner Protest in Serbien erscheint, hat eine globale Dimension. Denn der Ursprung des geplanten Lithiumabbaus hat seinen Ursprung in den kapitalistischen Zentren. Dort hat sich das Konzept eines grün angestrichenen Kapitalismus durchgesetzt. Jeder Konzern, der etwas auf sich hält, beansprucht für sich, „nachhaltig“ oder „CO₂-neutral“ zu wirtschaften. Flankiert wird dies von der Politik, die den Klimaschutz zur Regierungsaufgabe erhoben hat.

Transition in den Neo-Extraktivismus

Seit einigen Jahren steht somit die ökologische Wende auf den Fahnen westlicher Wirtschaftspolitik, die in den Zentren des Globalen Nordens für saubere Luft sorgen soll, während die Zerstörung von Mensch und Umwelt in die Peripherie ausgelagert wird. Elektromobilität hierzulande bedeutet so die Verwüstung andernorts. Und weil Serbien – wie weite Teile des Balkans – im ökonomischen Gefüge Europas an den Rand gedrängt ist, dient es als Quelle für billige Arbeitskräfte und günstige Rohstoffe auf Kosten von Mensch und Natur.

Die auf der Ausbeutung von Bodenschätzen beruhende Landnahme wird in Südamerika als Neo-Extraktivismus bezeichnet. Dabei profitieren ausländische Firmen von den lokalen Reichtümern. Weiterverarbeitende Betriebe gibt es kaum, weil die Wertschöpfung andernorts stattfindet. Davon profitieren multinationale Konzerne wie Rio Tinto, die im Sinne des freien Handels den Schutz westlicher Regierungen genießen. Was dagegen in den betroffenen Ländern bleibt, sind Umweltzerstörung und auf den Export ausgerichtete Ökonomien, die nicht in der Lage sind, sich zu entwickeln.

Dieses Konzept des Neo-Extraktivismus lässt sich auch auf die Situation in Serbien anwenden. Der dort geplante Abbau von Lithium ist Teil des Ausverkaufs des Landes seit dem blutigen Auseinanderbrechen des sozialistischen Jugoslawiens in den 1990er-Jahren sowie der neoliberalen Transition nach dem Sturz von Slobodan Milosevic im Jahr 2000.

Der Weg Serbiens in diese Abhängigkeit geschah in mehreren Schritten. Zuerst wurde das im jugoslawischen Sozialismus geschaffene gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln verstaatlicht, um anschließend an westliches Kapital oder einheimische, teils windige Geschäftsleute verhökert zu werden. Das hatte eine nachhaltige Deindustrialisierung zur Folge. Große Betriebe wurden ausgeschlachtet, zerstückelt oder ganz geschlossen, Arbeitsplätze massenhaft vernichtet.

Erstarken der Umweltbewegung

Die Kriege der 90er-Jahre und die wirtschaftliche Zerstörung verschärften die Verschuldung Serbiens. Als wirtschaftliches Allheilmittel priesen die Gläubiger von Weltbank, Internationalen Währungsfonds und anderen westlichen Institutionen sogenannte ausländische Direktinvestitionen an. Diese ins Land zu locken, gehört zum erklärten Ziel jeder Regierung in Belgrad seit den 2000er-Jahren.

So wurde Serbien, das zu jugoslawischen Zeiten über eine eigene Industrie verfügte, zur verlängerten Werkbank und Rohstoffquelle für internationales Kapital degradiert. Billige und teilweise gut ausgebildete Arbeitskräfte schuften für deutsche Autozulieferer, aber auch italienische Schuhmarken oder türkische Textilunternehmen. Dabei werden mitunter Arbeitsrechte bewusst gebrochen, wohl wissend, dass die Behörden deshalb nicht einschreiten. Hinzukommen großzügige Subventionen aus Belgrad. Serbien ist ein Billiglohnland, womit die Regierung auch international bei Investor:innen wirbt; wer kann, kehrt der Heimat den Rücken und versucht, im Westen ein „normales Leben“ aufzubauen.

Dass die einheimischen Eliten, die momentan von der SNS gestellt werden, dabei auch ein gutes Geschäft machen, weil sie, wo sie können, die Hand und die Taschen aufhalten, gehört dabei ebenso dazu wie deren nationalistische Rhetorik, die den Ausgebeuteten vorgaukelt, alle säßen im selben Boot. Doch diese Erzählung kommt an ihre Grenzen, wenn das Land, von dem man lebt, nicht mehr beackert werden kann. So ist in den vergangenen Jahren in Serbien eine neue Umweltbewegung entstanden, die sich gegen neue und alte Bergbauprojekte wie auch gegen Kleinststaudämme für die Stromgewinnung wendet.

Als „Ökologischer Aufstand“ gingen die Aktivist:innen immer wieder auf die Straße. Zugleich haben sie mit dem Bund der Umweltorganisationen Serbiens (SEOS) eine Plattform geschaffen, um ihre Kräfte zu bündeln. Dabei schlagen sie auch die Brücke mit Kämpfen in anderen Teilen der Welt. Im Juli dieses Jahres wurde im von Rio Tinto bedrohten Dorf Gornje Nedeljice – einem landesweit bekannten Ort des Widerstands – die „Jadar-Deklaration“ von Aktivist:innen aus Serbien, Portugal, Deutschland, Chile und Spanien unterzeichnet. Sie betonen, dass die lokalen Kämpfe im globalen Zusammenhang gesehen werden müssen; zudem versicherte man sich der gegenseitigen Solidarität.

Das Beispiel Majdanpek in Ostserbien

Diese internationale Verbindung ist wichtig. Denn in Serbien wird es auch zukünftig Auseinandersetzungen um die Frage der Ausbeutung der Natur geben. Das Land ist rohstoffreich, es gibt dort neben Lithium und Bor auch Kupfer, Gold, Nickel und andere Bodenschätze, die ebenso dort begehrt sind, wo der Ausbau erneuerbarer Energiequellen vorangetrieben wird. Daher ist es nicht verwunderlich, dass auch Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem letzten Besuch als deutsche Regierungschefin in Belgrad ihre Unterstützung für das Projekt Rio Sava bekundet hat. Lithiumabbau in Europa, genauer gesagt auf dem Balkan und somit nahe an den Produktionsstätten deutscher Autokonzerne, ist Teil der deutschen Staatsraison.

Doch es sind nicht nur westliche Konzerne, die von serbischen Bodenschätzen profitieren wollen. Das zeigt das Beispiel des Kupferabbaus in Ostserbien, etwa in dem Städtchen Majdanpek. Seit Juni wird der Ort, in dem Bergbau eine lange Tradition hat, immer wieder von Detonationen erschüttert. Diese kommen aus dem nahegelegenen Gebirge, in dem der chinesische Konzern Zijin Bergbau betreibt.

Folgen des Raubbaus an der Natur

Dass das Gelände, auf dem sich die Mine befindet, eigentlich in staatlicher Hand ist, stößt bei vielen Bewohner:innen des Orts auf Kritik. Sie fordern Transparenz, wo eigentlich die Grenze des Tagebaus genau verläuft. Immer näher rückt die Mine an Majdanpek heran, weswegen sie ein Protestcamp errichtet haben. Dass es durch den Kupferabbau auch Jobs gibt, ist dabei nur ein Trostpflaster. Die Arbeit ist hart, die Einhaltung der Arbeitsgesetze unterliegt der Willkür des Unternehmens – und auch hier stellt sich wie in Westserbien die Frage, was all die Jobs wert sind, wenn man in der Zukunft gar nicht mehr dort leben kann.

Ähnlich ist auch die Situation in der nahegelegenen Stadt Bor. Auch dort wird bereits seit mehr als einem Jahrhundert Kupfer geschürft und auch hier beutet Zijin die Rohstoffe aus. Und auch hier sorgt das Unternehmen für Unmut, weil viele Menschen unter den Folgen des Raubbaus an der Natur leiden. So sind Häuser einsturzgefährdet und der Konzern hält sich nicht an die Tarifverträge, ganz zu schweigen von der Zerstörung der Natur.

All diese Orte des Protestes – ob Bor, Loznica oder Majdanpek – eint der Widerstand gegen den Ausverkauf des Landes. Es geht dabei nicht allein um die Bewahrung einer vermeintlichen Heimat, sondern um den Kampf für die eigenen Lebensgrundlagen. Denn zum grünen Boom gehört auch die unwiederbringliche Zerstörung von Umwelt und Natur. Gleichzeitig landen die Gewinne, die mit den Rohstoffen gemacht wird, nicht dort, wo sie aus dem Boden geholt werden.

 
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Roland Zschächner kam über Dresden nach Gera und anschließend nach Berlin. Dort lebt er und versucht, so wenig wie möglich zu arbeiten. Dass das nicht immer gelingt, ist für ihn Ansporn, die Verhältnisse zu ändern. Er ist Teil der Ostjournal-Redaktion.

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