© Michael Wutz, KUNST GEGEN RECHTS, Uferhallen / Botschaft, Berlin, 2020 (Foto: Thomas Draschan)
Kulturkampf von rechts
Was würde Hannah Arendt sagen
Seit dem Einzug der AfD in den Bundestag im Jahr 2017 häufen sich die rechtsmotivierten Angriffe auf den Bereich der Kunst und Kultur. Warum werden politische Interessen nun ausgerechnet an der Kunst und Kultur verhandelt?
von Lea Zey
März 2023
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Seit dem Einzug der AfD in den Bundestag im Jahr 2017 häufen sich die rechtsmotivierten Angriffe auf den Bereich der Kunst und Kultur. Sie reichen von Hassmails, wie im Fall von NSU 2.0 oder Barrie Kosky, über haltlose Strafanzeigen gegen Kurator:innen und Künstlerische Leiter:innen und Störungen von Veranstaltungen über parlamentarische Anträge auf Etatkürzungen durch die AfD bis hin zu Brandanschlägen, Morddrohungen oder öffentlichen Einschüchterungsversuchen gegen einzelne Künstler:innen. Was hat es mit dieser Zunahme von Angriffen aus dem rechten Spektrum auf sich? Warum werden politische Interessen nun ausgerechnet an der Kunst und Kultur verhandelt?
Kunst und Kultur als verletzliche Pfeiler der Demokratie
Dieser „Kulturkampf von rechts“ ist kein neues Phänomen, sondern folgt einer jahrhundertealten rechtsideologischen Tradition. Kultur soll in dieser Logik eine konfliktfreie Einheit sein, die zweckgebunden eine Nation repräsentiert und stärkt. Diese Sichtweise auf Kultur prägte spätestens seit der Weimarer Republik die politischen Strategien der Rechten. Sie knüpft an rassistische und ethnopluralistische Denkmuster an, bei denen Menschen in kulturell homogene (…) Abstammungsgemeinschaften unterteilt werden, so die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus. Ziel ist es, moderne Errungenschaften zu bekämpfen oder zu verhindern, um eine idealisierte Vergangenheit wiederzufinden. Der Begriff „Kulturkampf von rechts“ hat sich in den letzten Jahren etabliert und beschreibt die erneute Zunahme politisch motivierter Angriffe auf den Kulturbereich. Die Kunst und Kultur steht hier stellvertretend für eine liberale, moderne und experimentierfreudige Gesellschaft, die nun an dieser Stelle bekämpft wird. Es fehlt aktuell immer noch an tiefergehenden Analysen, um diese rechtsextremen Strategien besser verstehen zu können. Dabei hat uns Hannah Arendt schon im letzten Jahrhundert das theoretische Handwerkszeug hierfür geliefert.
Hannah Arendt und die Kunst
Hannah Arendt gibt in ihrem Hauptwerk „Vita activa“ eine Vielzahl an Hinweisen auf ihr Kunstverständnis. Bis dato wurde diesen Überlegungen wenig Beachtung geschenkt, obgleich sie die Verschränkung von Gesellschaft, Politik und Kunst wie kaum eine andere Kunsttheorie herausarbeiten. So erklärt Arendt, dass der Schaffensprozess von künstlerischen Erzeugnissen immer auch Prozesse des Denkens und Erinnerns beinhaltet. Kunst und Kultur sind niemals losgelöst von Vergangenheit und Gegenwart. Das Denken, und somit auch die Kunst, sind abhängig von politischer Freiheit und damit so verletzlich wie kein anderes Vermögen. Kunst und Kultur anzugreifen bedeutet demnach, einen der grundlegendsten, aber auch sensibelsten Pfeiler der Demokratie anzugreifen. Gleichzeitig zeichnen sich totalitäre und rechte Ideologien laut Arendt durch ein Abhandenkommen der allgemeinen Denk- und Erinnerungsfähigkeit aus, schaut man tiefergehend auf die zugrundeliegenden Selbstverständnisse. Nach Arendt wäre die Vollendung rechten Machtbestrebens eine „totalitäre Fiktion“[1], da hier Erinnern, Logik und Geschichtlichkeit abgelehnt werden. Ein Blick in die derzeitigen Strategien rechter Angriffe kann helfen, Arendts jahrzehntealte Überlegungen in die gegenwärtige Praxis zu übertragen.
Dialoge Kunstfreiheit: Rechte Angriffe auf die Kultur
Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe gründete sich im Jahr 2017 der Verein DIE VIELEN e.V., der sich explizit aus dem Kunst- und Kulturbereich heraus organisierte, um auf die zunehmenden rechten Tendenzen zu reagieren. Der Verein hat in Kooperation mit dem Journalisten Peter Laudenbach als eines der letzten großen Projekte vor der Auflösung das Rechercheprojekt „Dialoge Kunstfreiheit“ initiiert. Es handelt sich um eine fortwährend aktualisierte und umfassende Chronik politisch motivierter Angriffe auf die Kunstfreiheit seit 2016. Laudenbach unterstreicht, dass es sich hier nur um die „Spitze des Eisbergs“ handelt. Es ist davon auszugehen, dass insbesondere im ländlichen Raum und in Regionen, in denen rechte Gruppen großen Zuspruch erhalten, betroffene Kulturinstitutionen aus Gründen des Selbstschutzes nicht erfasst werden wollen.Beim Betrachten der Chronik können drei Arten von Einschüchterungsversuchen unterschieden werden:
- Parlamentarische Angriffe von Seiten der AfD,
- Tätliche Angriffe, Störungen und Sachbeschädigung in Kulturinstitutionen oder auf individuelle Kulturschaffende und
- Cyberangriffe.
Auf parlamentarischer Ebene gehören Anträge auf Kürzung oder Streichung der Mittel zu einem viel genutzten Instrument, um einerseits Verunsicherung auszulösen und andererseits durch ausufernde Anfragen den Verwaltungsapparat und die Kultur lahmzulegen. Begleitend wird die so gewonnene Öffentlichkeit genutzt, um etablierte Institutionen als „Gesinnungstheater“ oder „Meinungskartell“ zu diffamieren. So geschehen bei der Berliner AfD in Bezug auf das Deutsche Theater, das Maxim-Gorki-Theater und den Friedrichstadt-Palast. Der Friedrichstadt-Palast wird später kurz nach Bekanntwerden der AfD-Anfrage auf Etatkürzung wegen einer anonymen Bombendrohung bei einer Samstagabendvorstellung geräumt.
Parallel häufen sich auch tätliche Angriffe und Einschüchterungsversuche von rechtsorientierten Ortsgruppen oder vernetzten Einzelpersonen. Eine Stadt, die in diesem Zusammenhang mehrfach auffällt, ist Zwickau. Nicht nur, weil die mittelgroße sächsische Stadt jahrelang ein verdeckter Unterschlupf des rechten Terrornetzwerks Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) war, sondern auch, weil sich die Bürger:innen Jahre später erneut mit Aufmärschen einer rechtsextremen Querfront aus radikalisierten Coronaleugnenden, AfD-Anhänger:innen und etablierten rechtsextremen Gruppen, wie dem Dritten Weg, befassen müssen. Hier wird nun explizit die Kultur angegriffen: So leidet der Kunstverein „Freunde aktueller Kunst“ mittlerweile schon jahrelang unter Anfeindungen. Lautstark skandierende Gruppen, persönliche Drohungen, Diffamierungen in einschlägigen Blogs und Anzeigen gegen den Künstlerischen Leiter Klaus Fischer sind nur ein Ausschnitt der Angriffe auf den renommierten Kunstverein, wie unter anderem die FAZ und monopol berichteten. Klaus Fischer sucht seither die Öffentlichkeit und konnte mit einem offenen Brief, den 60 Vertreter:innen aus der sächsischen Kulturlandschaft unterzeichneten, die lange überfällige Unterstützung von Zwickaus Oberbürgermeisterin Constance Arndt erwirken.
Ein weiteres Feld rechter Angriffe, das hier nun Beachtung finden soll, sind die Onlineangriffe. Eines der bekanntesten Beispiele ist die Drohmailserie „NSU 2.0“, bei der mehr als drei Jahre lang hunderte Morddrohungen an Personen des öffentlichen Lebens, darunter viele Kulturschaffende, so zum Beispiel Hengameh Yaghoobifarah, Jan Böhmermann oder Shermin Langhoff, verschickt wurden (siehe hierzu: Chronik „Dialoge Kunstfreiheit“). Der Hauptangeklagte wurde im vergangenen November wegen Bedrohung, Nötigung, Volksverhetzung und weiterer Vergehen zu fast sechs Jahren Haft verurteilt. Die Vorsitzende Richterin gab an, sie sehe den Angeklagten als Einzeltäter, der im Alleingang die mehr als 80 Drohschreiben versendet haben solle, berichtet die Tagesschau. Die Betroffenen forderten insbesondere in Bezug auf die Rolle der Sicherheitsbehörden mehr Aufklärung, da private Daten von Computern der Polizei im Zusammenhang mit NSU 2.0 abgerufen wurden. Eine adäquate Aufarbeitung blieb bis heute aus.
Eingeworfene Fenster, Brandanschläge, Morddrohungen oder direkte Störungen von Veranstaltungen finden sich in großer Anzahl in der fünfjährigen Chronik von Peter Laudenbach und den VIELEN. Ein Ziel dieser Sammlung sei es, so die Initiator:innen, das Einzeltäternarrativ zu hinterfragen, das in Politik, bürgerlicher Mitte und Sicherheitsbehörden häufig bemüht wird und derzeitige Entwicklungen bagatellisiert.
Zurück zu Arendt: Pluralität und Kunst
Da sich der Kulturkampf von rechts in eine jahrhundertealte Kontinuität rechter Strategien eingliedern lässt, ist es an dieser Stelle sehr sinnvoll Hannah Arendts Analysen heranzuziehen. Arendt, die sich als erste Intellektuelle mit dem Phänomen des Totalitarismus beschäftigte, war selbst verfolgte Jüdin im Nationalsozialismus und migrierte über Frankreich in die USA, von wo aus sie ihre bekanntesten Schriften publizierte. Arendts Schaffen orientierte sich immer stark an ihren eigenen Lebensthemen: als Frau, Jüdin und Geflüchtete.
Ihre persönliche Leidenschaft für Lyrik und Belletristik bewogen sie, auch den Stellenwert von Kunst und Kultur in ihren Gesellschaftsstudien herauszuarbeiten. Kunst war für Arendt eine Versicherung der gemeinsam geteilten Welt. Sie ist, wenn man so will, das Gegenteil von totalitärem Machtbestreben, das vor allem Konformismus und die Entwurzelung der Menschen zum Ziel hat, wie es sich auch heute noch beobachten lässt. Eine gemeinsame Welt existiert laut Arendt ausschließlich in der „Vielfalt der Perspektiven“[2]. Die menschliche Pluralität, das heißt die Gleichheit und gleichzeitige Verschiedenheit aller Menschen, wird dann sichtbar, wenn Menschen in Beziehung treten und sich mitteilen. Gewaltvolle, stumme Taten sind für Arendt apolitisch, denn sie finden nicht in einer Begegnung zwischen Menschen statt. Nur wo Pluralität ausgedrückt wird, kann von politischer Freiheit gesprochen werden.
Dieser Standpunkt, eine politische Theorie nicht vom Individuum, sondern von der Gemeinschaft her aufzubauen, zeichnet Arendts Denken besonders aus. Die Öffentlichkeit und die Menschen in ihrer Vielheit an Perspektiven sind der Rahmen, in dem Kunst existieren kann. Wenn nun politisch motivierte Gruppen vor Ausstellungen skandieren und das Ausstellen bestimmter „heimattreuer“ Kunst gewaltvoll erwirken wollen, ist dies nicht nur ein Angriff auf den jeweiligen Kulturort, sondern inhärent auch eine Bedrohung der gemeinsam geteilten Öffentlichkeit und der politischen Freiheit. Umso schützenswerter scheint die Kunstfreiheit im Kontext dieser neu aufflammenden, rechten Bedrohungen. Ihnen liegt ein Kunstverständnis zugrunde, das tatsächlich keines ist, sondern vielmehr eine politische Ideologie, die keine Pluralität, keine Widersprüche und keine Komplexität aushält.
Ein weiteres großes Missverständnis liegt in der von Rechten geforderten Zweckhaftigkeit von Kultur- und Kunsterzeugnissen. Ist Kunst ein Abbild politischer Diskurse und soll Kultur immer auch politische Interessen vertreten? Nach Arendt lautet die Antwort ganz klar: Nein. Kunsterzeugnisse sind in ihrer Auffassung die Beständigsten aller Dinge, gerade auf Grund ihrer Zweckfreiheit. Trotzdem sind sie in ihrem Wesen politisch, da Kunst- und Kulturerzeugnisse nur durch Beziehungen existieren: Zwischen den Schaffenden, den Erzeugnissen und der Öffentlichkeit. Durch diese Eingebundenheit produzieren und archivieren sie Geschichten, die nicht frei von Politik, Gesellschaft und Erinnerungen sind. Die Zweckfreiheit bleibt nach Arendt jedoch fortwährend ein wichtiges Merkmal von Kunst- und Kulturprozessen. Sobald Kultur Zweckmäßigkeitserwägungen folgen müsste, stünde sie unter ganz anderen Zwängen, die wiederum ihre Existenz infrage stellen könnten.
Arendt beschreibt in „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“, dass künstlerische Initiative der totalen Herrschaft bedrohlicher sei als politische Gegner:innenschaft, weil die totale Herrschaft „kein Handeln zulassen darf, dass nicht absolut voraussehbar ist“[3]. Kunst und Kultur dagegen können weder von Zweckmäßigkeit, noch von politischer Ideologie, beherrscht und kontrolliert werden. Sie verlieren in totalitären Systemen ihre Existenzgrundlage: Die Freiheit. In Ländern, die von prätotalitären Atmosphären erfasst werden, lässt sich diese Beobachtung auch heute noch bestätigen. Passend hierzu bespielte das kubanische Künstler:innenkollektiv „INSTAR“ (Instituto de Artivismo Hannah Arendt) um Tania Bruguera bei der vergangenen documenta fifteen die documenta Halle mit wechselnden Ausstellungen zahlreicher in Kuba zensierter Künstler:innen. Es ist ein Archiv der Ausgeschlossenen, wie die Gruppe erklärt. Bruguera selbst lebt im nordamerikanischen Exil und stand lange Zeit in Kuba unter Hausarrest. Umso bedauerlicher, wenn bei derselben Ausstellungsreihe durch die Verharmlosung schwerer Antisemitismusvorwürfe Ausgrenzung und Diskriminierung auf anderer Ebene reproduziert werden.
Bei Arendt schwingt Eines in fast jeder Zeile mit und in der Praxis bedrohter Künstler:innen wird es ebenso sichtbar: Die größte Chance den Einschüchterungsversuchen einer Neuen Rechten zu begegnen, liegt im Miteinander, im Aushalten von Widersprüchen, in den Beziehungen und Diskursen. Dass Menschen durch Kunst und Kultur Geschichten erzählen und „Wurzeln schlagen“, wie Arendt es nennt, läuft antimodernen, menschenfeindlichen Bestrebungen entgegen. Eine der größten Herausforderungen ist demnach das gesellschaftliche Phänomen der Vereinzelung und Entwurzeltheit der Menschen zu bekämpfen, wie Arendt schon vor über 50 Jahren konstatierte[4]. Und Arendt gibt Hoffnung für das Ungewisse: Die Geburt eines jeden Menschen ist ein Neuanfang, so kommt jede:r als Fremde:r in diese Welt und gestaltet die Politik und die Gemeinschaft aktiv mit. Die eigene politische Handlungsfähigkeit durch Arendts Brille zu erkennen ist sicherlich ein erster Schritt.
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[1] Arendt, Hannah (2021): Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München: Piper, S. 874
[2] Arendt, Hannah (2016): Vita activa oder Vom tätigen Leben, München/Berlin: Piper, S. 73
[3] Arendt, Hannah (2021): Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München: Piper, S. 723f.
[4] Arendt, Hannah (2016): Vita activa oder Vom tätigen Leben, München/Berlin: Piper, S. 329
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Lea Zey (*1992) lebt mit ihrem Kind in Berlin. Sie ist Sozialpädagogin und Kulturwissenschaftlerin und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Verschränkung von Kunst und Politik, sowie intersektional-feministischen Perspektiven. Sie schrieb ihre Masterthesis mit Auszeichnung zu Hannah Arendts Blick auf den Kulturkampf von rechts.