KGR Ostjournal Nr3

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Rechte Kontinuitäten in der rumänischen Parteienlandschaft

Totgesagte leben länger: Die extreme Rechte in Rumänien

Lange Zeit sah es so aus, als gäbe es in Rumänien keine rechten Parteien. Doch der erste Eindruck täuscht. Die Geschichte rechten Gedankenguts und großrumänischer Ambitionen reicht weit zurück.

von Felix Heubaum
März 2023

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Umstrittene Parole an einer Mauer in der moldauischen Hauptstadt Chișinău: Bessarabien ist (nicht) Rumänien.

Umstrittene Parole an einer Mauer in der moldauischen Hauptstadt Chișinău: Bessarabien ist (nicht) Rumänien.

Ein erster Blick auf die Mehrheitsverhältnisse im rumänischen Parlament mag verwundern: die sozialdemokratische Partei ist stark und bis zu den Wahlen 2020 fehlte eine Partei rechts der Konservativen. Rumänien mag als Sonderfall erscheinen: Während in Polen und Ungarn rechtsnationale Parteien längst Teil der Regierung sind und den Staat autoritär umbauen, scheint das Land von solchen Zuständen weit entfernt. Der unerwartete Erfolg der Allianz für die Vereinigung der Rumänen (Alianța pentru Unirea Românilor, AUR) bei den Wahlen 2020 lenkte die internationale Aufmerksamkeit auf das Erstarken der extremen Rechten in Rumänien. Dabei ist die Geschichte des Faschismus in dem südosteuropäischen Land von einigen Besonderheiten gekennzeichnet, welche die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte verständlich machen und Hinweise darauf geben, weshalb die extreme Rechte nur scheinbar verschwunden war.

 

Die Ursprünge im 20. Jahrhundert

Die wichtigste faschistische Organisation der Zwischenkriegszeit, welche die Wahrnehmung des Faschismus bis heute bestimmt, war die Eiserne Garde (Garda de Fier) unter ihrem Anführer Cornelia Zelea Codreanu. Von anderen faschistischen Bewegungen unterschieden sich die Gardisten durch ihren ausgeprägten Bezug auf das orthodoxe Christentum. Deutlich wird diese weltanschauliche Säule auch im ursprünglichen Namen der Bewegung: Legion des Erzengel Michael, wonach sich ihre Anhänger auch als „Legionäre“ bezeichneten. Aus strategischen Erwägungen entschied sich Hitler dafür, nicht mit der ideologisch dem Nationalsozialismus nahestehenden Eisernen Garde unter Codreanu zu kollaborieren, sondern arbeitete mit General Ion Antonescu zusammen, der in Rumänien 1940 eine Militärdiktatur errichtete. Rumänien griff an der Seite Nazi-Deutschlands 1941 die Sowjetunion an und eroberte weite Gebiete entlang des Schwarzen Meeres, unter anderem die Hafenstadt Odessa. Dort töteten Angehörige der rumänischen Armee auf Befehl des Conducător (Führer) Antonescu am 23. und 24. Oktober 1941 in einem der größten Massaker des Holocaust über 30.000 Jüdinnen und Juden.

In einem überraschenden Coup übernahm 1944 König Michael I. die Macht und Rumänien wechselte die Seiten, 1947 musste der König auf sowjetischen Druck hin abdanken. Die sowjetische Führung setzte umgehend stalinistische Politiker ein, die den gesellschaftlichen Umbau in Rumänien mit brachialen Methoden vorantrieben. Von 1965 an prägte Nicolae Ceaușescu die Ausrichtung des rumänischen Sozialismus, ideologisch forcierte er einen Unabhängigkeitskurs von der Sowjetunion und flankierte diesen mit einem ausgeprägten Nationalismus, der zeitweise für starken Rückhalt in der Bevölkerung sorgte. Nach dem Niedergang der rumänischen Wirtschaft in den 1980er Jahren endete seine Herrschaft im Dezember 1989 mit der Verurteilung des Ehepaares Ceaușescu zum Tode, die Anklage lautete unter anderem auf „Genozid am rumänischen Volk“.

 

Nationalistischer Stimmenfang: Immer wieder Großrumänien

Der zentrale historische Bezugspunkt der verschiedenen Bewegungen – wie für die meisten Nationalisten und Faschisten – ist die Phase, in der das Land seine größte territoriale Ausdehnung hatte. Von den Grenzziehungen und Auseinandersetzungen nach dem Ersten Weltkrieg hatte Rumänien massiv profitiert; vor allem die vormals russische Moldau, die bulgarische Süddobrudscha, das ungarische Siebenbürgen und Teile der österreichischen Bukowina vergrößerten das Territorium und die Bevölkerung um mehr als das Doppelte. Damit wuchsen auch die Minderheiten auf dem Staatsgebiet deutlich an, die größten Gruppen stellten Juden, Deutsche und Ungarn. Der rumänische Nationalfeiertag, der 1. Dezember soll an diese sogenannte Große Vereinigung (Marea Unire) von 1918 erinnern.

Seit dem Umbruch 1989 gab es wiederholte Versuche, eine rechtsextreme Partei in Rumänien zu etablieren. Fast allen Parteien von der Großrumänienpartei (Partidul România Mare, PRM) bis hin zur Allianz für die Vereinigung der Rumänen war gemein, dass sie den Zusammenschluss mit der benachbarten Republik Moldau forderten und „Großrumänien“ als politisches Schlagwort popularisieren wollten. Ab Mitte der 1990er Jahre wuchs der Einfluss der PRM kontinuierlich, bis sie bei der Wahl im Jahr 2000 zweitstärkste Kraft im rumänischen Parlament wurde. Parteiführer Corneliu Vadim Tudor war bis 1989 dem Regime Nicolae Ceaușescus eng verbunden. Mitunter wird der „Nationalismus mit sozialistischem Antlitz“ in Rumänien als kommunistische, als linke Agenda verstanden. Personen wie Tudor trugen zu diesem Missverständnis bei, da sie als wichtige Funktionäre schon unter Ceaușescu nationalistische und antisemitische Propaganda verbreitet hatten. Ende der 2000er Jahre verlor die PRM an Einfluss, Tudor gab 2013 den Vorsitz ab und starb zwei Jahre später.

Gegenwärtig bedeutsamer ist die 2000 gegründete Neue Rechte (Noua Dreaptă, ND), sie verwendet als Erkennungssymbol das Keltenkreuz und bezieht sich positiv auf den Führer der Eisernen Garde Codreanu. Die ND schürt gezielt Ressentiments und diffamiert die ungarische Minderheit – die 6,5 Prozent der rumänischen Bevölkerung stellt – als illoyal. 2013 demonstrierten Mitglieder der ND vor der ungarischen Botschaft im siebenbürgischen Cluj-Napoca unter dem Motto „Für die nationale Einheit – Wider den ungarischen Separatismus“. Auch die ND bezieht sich positiv auf das orthodoxe Christentum als genuin rumänisch und verbreitet Losungen wie „Nationale Identität – Spirituelle Revolution“ oder „Für Gott, Volk und Land“. 2016 organisierte die ND Patrouillen im westrumänischen Timișoara, die sich gegen vorgebliche „Taschendiebe“ richteten, und bediente antiziganistische Vorurteile; bei einer ihrer Demonstrationen wurde an die Roma-Bevölkerung gerichtet „Raus, raus aus dem Land mit diesen Hunden“ skandiert. 2022 führten Mitglieder der ND gemeinsam mit anderen faschistischen Gruppen während der „Bucharest Pride“ eine Anti-LGBT-Demonstration durch, den „Marsch der Normalität“, bei der sie Banner mit der Aufschrift „Tod der Toleranz-Diktatur“ trugen. Die ND ist auch in der Republik Moldau vertreten, in der sie regelmäßig Demonstrationen unter dem Motto „Bessarabien – Rumänische Erde“ durchführte. Die rumänischen Faschistinnen und Faschisten bevorzugen die Bezeichnung der historischen Region Bessarabien, um die Staatlichkeit der Republik Moldau in Frage zu stellen, ihre populärste Parole lautet „Bessarabien ist Rumänien“.

2019 gründete George Simion die Partei AUR, Simion hatte bereits mit der Aktion 2012 in der Republik Moldau versucht, eine Mehrheit für den Zusammenschluss der beiden Länder zu mobilisieren. Aufgrund seiner Aktivitäten verwies die Regierung Moldaus den rumänischen Staatsbürger des Landes. Bei den rumänischen Parlamentswahlen 2020 erzielte AUR über 9 Prozent der Stimmen und wurde aus dem Stand viertstärkste Kraft. Zu diesem Erfolg verhalf der Partei unter anderem der in Rumänien ausgeprägte Protest gegen die Covid-Maßnahmen und ihre Präsenz im Internet. Der Wahlspruch von AUR lautet „Nation, Freiheit, Familie, Glauben“. Der Co-Vorsitzende Claudiu Târziu ist Mitglied der Koalition für die Familie, einer christlich-fundamentalistischen und homophoben Organisation, Mitte November 2020 lud George Simion zu einem Kongress mit dem Titel „Für das Europa, an das wir glauben“ nach Bukarest ein, vertreten waren dort unter anderem die Fratelli d’Italia und die polnische Regierungspartei PiS. Zuletzt sorgte AUR 2022 für internationale Aufmerksamkeit, als Mitglieder der Partei in Timișoara das Rathaus stürmten und den aus Baden-Württemberg stammenden Bürgermeister Dominic Fritz verbal angriffen. Bezugnehmend auf seine Herkunft behauptete Simion, Fritz sei ein „dahergelaufener Ausländer, den das Land nicht braucht“.

Außerdem gab es verschiedene rechtsextreme Parteigründungen in den letzten Jahrzehnten, wie die Partei der Neuen Generation – Christdemokraten (Partidul Noua Generație – Creștin Democrat, PNG-CD), die Partei Alles für das Land (Totul pentru Țară, TPȚ) oder die Partei Vereinigtes Rumänien (Partidul România Unită, PRU), die aber nicht über den Einfluss der PRM oder ND verfügten. Daneben gibt es rechtsextreme und militante Splittergruppen wie die Identitäre Gemeinschaft (Comunitatea Identitară, CI), die ihren lokalen Schwerpunkt in Cluj-Napoca hat und dort mit einem  orthodoxen Gottesdienst im Januar 2023 ein geheimes Hauptquartier eröffnete. Gemeinsam mit der CI protestierte am 1. Dezember 2022, dem Nationalfeiertag, die der AUR nahestehende Orthodoxe Bruderschaft (Frația Ortodoxă, FO) in der mehrheitlich ungarisch bewohnten Kleinstadt Târgu Secuiesc und skandierten: „Es lebe Großrumänien“ und „Bessarabien – Rumänisches Land“. Dass die Beziehung zwischen der rumänischen orthodoxen Kirche und verschiedenen rechtsextremen Gruppen vereinzelt gegenseitig ist, zeigt die jährlich stattfindende Veranstaltung Tage des Widerstands im Kloster Brâncoveanu in Sâmbăta de Sus, bei der militanten antikommunistischen Gruppen gedacht wird, die zu einem großen Teil aus der Legionärsbewegung hervorgegangen sind.

Anders als die rumänischen Nationalisten glauben machen wollen, ist diese Propaganda nicht mehrheitsfähig und vor allem undurchführbar. Die Republik Moldau ist – im Gegensatz zu Rumänien – kein EU-Mitglied, sie hat außerdem mit dem abtrünnigen Transnistrien einen eingefrorenen militärischen Konflikt. Auch für Moldau ist eine „Wiedervereinigung“ keine Option, die meisten rumänischsprachigen Einwohnerinnen und Einwohner können ohnehin einen rumänischen Pass beantragen, und haben damit Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt. Die Republik Moldau, in Sowjetzeiten ein beliebter Altersruhesitz, ist heute das ärmste Land Europas, der durchschnittliche Monatsverdienst liegt mit weniger als 300 Euro nur halb so hoch wie in Rumänien und ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts resultiert aus Einkommen, das moldauische Bürger im Ausland erwirtschaften. Auch lebt in Moldau eine große russischsprachige Minderheit, die dem europäisch-nationalistischen Kurs der rumänischen Rechtsextremen ablehnend gegenübersteht. Bei den Wahlen 2019 kam die AUR in der Republik Moldau auf 1,3 Prozent und verpasste den Einzug ins Parlament deutlich, bei der vorgezogenen Wahl 2021 erhielt sie nur noch 0,5 Prozent der abgegebenen Stimmen. Sowohl Rumänien als auch die Republik Moldau haben sich mit dem Status quo arrangiert, ein ernsthaftes Interesse an einem Zusammenschluss gibt es auf beiden Seiten kaum.

 

Rechte Ressentiments und der Krieg in der Ukraine

Für die rumänischen Rechtsextremen bedeutete der Krieg in der Ukraine vor allem eine ideologische Herausforderung, immerhin war eine ihrer am lautesten vorgetragenen Forderungen die Vereinigung mit der Republik Moldau. Im Februar 2023 warf der russische Außenminister Sergej Lawrow der Regierung Moldaus vor, eine russlandfeindliche  Politik zu verfolgen und den Anschluss des Landes an Rumänien anzustreben. Einige Monate zuvor hatte  der moldauische Geheimdienst verkündet, dass man mit einer russischen Invasion rechne, und eine Konfrontation mit dem in Transnistrien stationierten russischen Militär wollen auch die rumänischen Rechtsextremen nicht riskieren. Die ND hält sich mit Aussagen zum russischen Krieg in der Ukraine generell zurück, man habe keine Sympathien für eine der beiden Parteien; Russland habe vor 30 Jahren den „zweiten rumänischen Staat“ angegriffen und sei bis heute in Transnistrien präsent, die Ukraine würde seit ihrer Unabhängigkeit eine „brutale Denationalisierung der Rumänen“ auf ihrem Territorium verfolgen. Der beste Weg, um möglichst viele Rumänen „außerhalb der Grenzen“ zu schützen, sei daher der Anschluss Moldaus. Die AUR kam ebenfalls in ideologische Schwierigkeiten, da der von ihr propagierte Unabhängigkeitskurs auch den Austritt aus der EU und der NATO vorsah. Inzwischen stehen viele Rumäninnen und Rumänen den Aufstockungen von NATO-Truppen in ihrem Land positiv gegenüber und sehen ihre Sicherheit vor allem durch die europäische und transatlantische Partnerschaft garantiert. Der AUR-Vorsitzende Simion kam zuletzt in Erklärungsnöte, weil er 2021 auf einem Foto zur Unterstützung von Giorgia Meloni mit einem Gefolgsmann Putins posierte.  In der rumänischen Rechten wird der Krieg und seine Auswirkungen ignoriert, bagatellisiert oder sogar gerechtfertigt: Es handele sich um Auseinandersetzung zwischen Slawen, die Ukraine sei ohnehin ein künstlicher Staat.

Während sich die Rechtsextremen Rumäniens scheinbar in einer politischen Sackgasse wiederfinden, ist das Ressentiment in der Bevölkerung, stärker verankert als es der Blick ins Parlament vermuten lässt. Laut einer Untersuchung von IRES aus dem Jahr 2020 erklärten zwei Drittel der befragten Rumäninnen und Rumänen Roma nicht zu  vertrauen und etwa ein Drittel vertrat explizit antiziganistische  Einstellungen. Manche Politikerinnen und Politiker außerhalb der dezidiert rechten Parteien bedienen derartige Ressentiments so nachdrücklich, dass es Rechtsextremen mitunter schwerfällt, sich abzugrenzen. Dieser Zusammenhang führt dazu, dass die bisherigen Versuche, eine rechtsextreme Kraft zu etablieren, mit einer möglichst radikalen Forderung einhergingen, die zumeist die Angliederung Moldaus an Rumänien war. Der Sinn der Forderung besteht vor allem im radikalen Gestus und weniger in einer konkreten Absicht. Das dürfte auch den meisten Wählerinnen und Wählern klar sein, die ihre Stimme einer Partei geben möchten, die sich als Fundamentalopposition inszeniert. Eine Umfrage vom Januar 2023 sieht die AUR mit 20 Prozent bereits als zweitstärkste Partei im rumänischen Parlament, der Vorsitzende Simion will sie als konservativ profilieren und die Legionärssympathisanten aus der Partei entfernen. Ob es diesmal gelingen wird, eine extrem rechte Partei in Rumänien zu verankern, bleibt offen. An Umfragen und Wahlergebnissen ablesen zu wollen, in welchem Zustand sich die rumänische extreme Rechte befindet, dürfte ohnehin ein Fehler sein.

 

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Felix Heubaum kommt aus einer thüringischen Kleinstadt und hat in Jena Geschichte & Politik des 20. Jahrhunderts mit dem Schwerpunkt Osteuropa studiert. Er beschäftigt sich mit der Zeitgeschichte Rumäniens, Moldaus und der Ukraine. Seit 2020 arbeitet er in Leipzig an einer freien Schule als Lehrer für Geschichte.

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