Fotografien: Redaktion Ostjournal, Typografie: Iliyá Fogg.
Editorial
Gegenhalten
die Redaktion
Juni 2024
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Überall Wahlen. In Thüringen wurde bereits gewählt, diesen Monat folgen die Kommunalwahlen in den anderen vier ostdeutschen (und drei westdeutschen) Bundesländern sowie die Europawahl. Im September stehen Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg an. Viele Voraussagen sprechen rechten Parteien Stimmengewinne zu. Folgt der ansteigenden rechten Gewalt eine weitere Verschiebung der Parlamente nach rechts? Unbehelligte Naziumtriebe und die rechtsdriftende Verrohung der sogenannten Mitte sind ein Problem im gesamten Deutschland. Der Osten besteht dabei nicht nur aus einer braunen Suppe, sondern es gibt viele Menschen, Initiativen und Projekte die sich für etwas Besseres einsetzen. Und die stehen auch jetzt schon, vor den befürchteten rechten Wahlergebnissen, unter politischem, staatlichen und finanziellen Druck. In dieser Ausgabe stellen wir Gegenstrategien in den Mittelpunkt. Es kommen Menschen zu Wort, die im Osten aktiv und engagiert sind. Und auch wir haben keine andere Wahl: Gegenhalten.
Damit die Brandmauern auf unserem Titelbild und über den Beiträgen nicht kahl bleiben, hat uns der Illustrator, Videograf und Regisseur Iliyá Fogg seine Typografie als virtuelles Graffiti für unseren Ausgabe zur Verfügung gestellt. Aus wenigen oder gar einem Begriff formt Fogg kalligrafische Kalligramme in denen die einzelnen Schriftzeichen ineinander verschmelzen, statt einzeln und nebeneinander für sich alleinzustehen.
Wir danken ihm und allen Autor:innen und Interviewpartner:innen und stellen euch die Beiträge vor.
Die Beiträge
Seit den ersten Sitzen für die AfD in den Parlamenten beteuern SPD, Grüne, Linke, FDP und CDU, nicht mit Faschisten kooperieren zu wollen. Während dieses Bekenntnis lokal mehrfach gebrochen wurde, ist zumindest auf Bundes- und Landesebene immer noch von der „Brandmauer“ die Rede. Jana Schäfer plädiert auf breiter und langfristiger gesellschaftlicher Basis und von unten für Feuer löschen statt Brände mauern.
Erreichen emanzipatorische soziale Bewegungen und linke Inhalte Menschen außerhalb der eigenen Bubble? Maria Fomina fragt nach Gegenstrategien zu steigenden AfD-Umfragewerten unter jungen Wähler:innen und hat mit Aktiven von Linksjugend, JuSos und Grüne Jugend in Sachsen gesprochen: Wir müssen hin, wo’s wehtut.
Raus aufs Land – dorthin, wo am Wochenende kein Bus fährt – ist vor ein paar Jahren eine Gruppe von Menschen gezogen, um ein feministisches Landprojekt aufzubauen. Dort geht es um (Weiter-) Entwicklung eigener Organisationsformen, Ost-Erinnerungskultur, Gespräche mit den Nachbar:innen und chronische Unterfinanzierung der Strukturen auf dem Dorf, kurz: Feministische Politik im ländlichen Raum. Das Heinersdorfer Haus des Wandels stellt sich vor.
Es gibt den anderen Osten, doch viele Projekte auf dem ostdeutschen Land sind von staatlichen Repressalien und der Streichung von Fördermitteln betroffen. Das Netzwerk Polylux unterstützt Vereine, Initiativen und Projekte der kritischen Zivilgesellschaft vor Ort und hat eine neue Kampagne für alternative Förderungen gestartet. Licht an für Antifaschismus beleuchtet die Zuspitzungen und die Möglichkeiten des Dagegenhaltens wie des Unterstützens.
»Wir haben nichts zu verlieren als unseren Stolz« – unter diesem Motto riefen Aktivist:innen aus verschiedenen sozialen Bewegungen vergangenen Herbst dazu auf, in Die Linke einzutreten und die Parteistrukturen zu nutzen, um vor Ort etwas zu bewegen. Der Initialgruppe WIR // JETZT // HIER folgte tatsächlich ein Masseneintritt. Nun ist es Zeit für einen kurzen Rückblick auf das erste halbe Jahr Partei und Mobilisierung in der ostdeutschen Peripherie.
In der ostdeutschen Peripherie und ihren Zentren hat und hatte er viele Auftritte. In seinem aktuellen Album streicht Paul Geigerzähler mit dem Bogen in der Hand durch DDR-und Familiengeschichte. “Eigentlich muss man die sozialistischen Ideen, die diese Leute damals hatten, mal wieder nach vorne in die Diskussion bringen.” Interview über einen gebrochenen Zeitstrahl um ‘89, überraschende Worte der Ost-CDU und was Musik politisch macht.
Von der Krise zum Rechtsruck: Mit dem Ende der DDR brach nicht nur ein Zeitstrahl, sondern auch eine Wirtschaft. Der Zerstörung der sozialen Sicherheit folgte der Aufstieg der Rechten. Was in Ostdeutschland nach 1990 begann, hat sich mit der AfD zu einem gesamtdeutschen Problem entwickelt. Daraus lassen sich Schlüsse ziehen, findet Stella Bugatti.
Was es braucht, um einem rechten, antidemokratischen Aufschwung etwas entgegenzusetzen, sind konkrete Initiativen. In Grünheide verbinden Allianzen zwischen Umweltbewegung und Bürger:initiativen den lokalen Protest gegen den Ausbau des Tesla-Werks mit globalen Kämpfen entlang der Wertschöpfungskette des grünen Kapitalismus. Friedemann Wiese hat das lokale Aufbäumen in Grünheide in einer Fotoserie festgehalten.
Konkrete Initiative für das Frauen-Eishockey-Team der Eisbären und gegen Homophobie und Rassismus im Stadion geht vom Else Jahn Kurvenkollektiv aus. Ein Gespräch mit Jay und Nico über Fanaktivismus im Osten Berlins, die Geschichte einer Kurve und wie viele Pucks noch ins Netz gehen müssen bis zum Ende der strukturellen Geschlechterungleichbehandlung im Eisstadion: Eishockey bleibt Frauensache.
Die Politik der Sowjetunion hatte viele Fehler. Viele auch, die in direktem Widerspruch zu dem stehen, was sich bei Marx nachlesen lässt. Wie aus „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ etwas ganz anderes wurde, das bis heute seine Spuren durch PostOst-Biographien zieht, geht Anna Koemets nach.
Sowohl die in deutschsprachigen Medien für Aufschrei und Angst sorgenden Remigrationspläne als auch Diskussionen rund um die Nationale Identität im post-postsowjetischen Raum sind Teil ihrer Arbeit, in der sich die interdisziplinäre Künstlerin Daria Kim mit ihrem eigenen fehlenden nationalen Zugehörigkeitsgefühl beschäftigt. Ihr jüngstes Werk “Chilltan”, eine mythologische Gestalt mit 40 Körpern, integriert eine Audiomontage aus 40 Stimmen, welche wir hier vorstellen dürfen.
Viel Spaß beim Lesen, Hören und Sehen!
euer Ostjournal
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