Achtung: Ablenkung
Feuer löschen statt Brände mauern
Parteien der gesellschaftlichen Mitte benutzen aktuell eine mehrdeutige Chiffre, um sich von „der Rechten“ abzusetzen: die Brandmauer. Die Frage, ob sie hält, ist akut. Aber diese Idee bietet eigentlich wenig selbstbefähigende Strategien an, um die Verhältnisse zu verbessern, die der Rechten überhaupt die Chance einräumen sich als opferungswillige Heilsbringer zu inszenieren und faschistische Praxis zu normalisieren.
von Jana Schäfer
Juni 2024
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Der Begriff der Brandmauer ist in aller Munde. Er behauptet, dass durch Verweigerung der Zusammenarbeit die „Rechte Gefahr“ gebannt werden könne. Dabei bringt der Begriff selbst mindestens zwei Problematiken mit sich, die eher als Brandbeschleuniger wirken.
Zum einen suggeriert er, dass es eine klare Trennungslinie zwischen brennendem und nicht brennendem Raum gebe. In Ost- wie in Westdeutschland, in den Diskursen und Praktiken der Parteien und Wähler*innenvereinigungen, finden sich aber inhaltliche wie strategische Parallelen zur AFD. Beispiele sind die Unionsparteien sowie die Freien Wähler in Bayern oder Sachsen, die mal mehr und mal weniger Zusammenarbeit akzeptieren und gemeinsame Ideen normalisieren [1]. Die AFD mag im verbalen Schlagabtausch also als rechtsextrem und gefährlich eingestuft werden. Aber ein Blick in die Parteiprogramme enthüllt, dass trotz Diversität innerhalb und zwischen den Parteien Verbindungslinien existieren: z.B. in einer traditionalistischen Familien- und Geschlechterpolitik, in einer national orientierten Wirtschaftspolitik und in völkisch-nationalistischer Migrations-, Grenz- und Heimatpolitik. Und auch im parlamentarischen Umgang mit der AFD, z.B. in ostdeutschen Kommunen, zeigt sich: Parlamentarier*innen verschaffen der AFD längst Legitimität durch Zusammenarbeit [2].
Zum anderen regt sich nicht nur im Osten der Republik wahrscheinlich die Erinnerung an eine andere Mauer. Die Teilung der Gesellschaft durch die Mauer und ihre Überwindung wurde im gesellschaftlichen Diskurs sowohl negativ als auch positiv gedeutet bzw. hatte konkret Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Ost und West. Einerseits gibt es Überlegungen darüber, wie es nach der Vereinigung der Staaten 1989/1990 zur Abwertung der Kultur der DDR und des Ostens kam, die ‚den Osten‘ insbesondere mit Rassismus und Rückständigkeit identifizierte [3]. Das ist ein Narrativ, das zu mindestens zu Kränkungen beigetragen hat. Gleichzeitig kam es natürlich zur Entwertung der ökonomischen und kulturellen Produktion im Osten, die auch zu Armut, interner Migration und dem Verfall der politischen Beziehungen beigetragen hat. Andererseits hat die AFD selbst in vergangenen Wahlkämpfen mit dem Slogan „Vollende die Wende“ einen positiven Bezug zum demokratischen und friedlichen Protest der DDR-Bürger*innen geschaffen. [4] Beide, die negative wie die positive Folie, schaffen Bezugspunkte für Bürger*innen im deutschen Osten, die eine Vorstellung von Schmähung und Abgehängt werden wie auch die von einem demokratischen Geist miteinander verknüpfen[5]. Demokratieforscher*innen wie Simon Franzmann warnen, dass AFD-Wähler*innen sich durch den Begriff der Brandmauer, der sie als politische Subjekte ausschließen soll, also darin bestätigt sehen könnten, dass ihnen (weiter) Unrecht widerfährt. Dies könne sie sich noch stärker an die AFD binden [6].
Gerade im Bezug zu diesen Ausschluss- und Abstiegsnarrativen hat Theodor W. Adorno schon in den 1960ern Thesen darüber aufgestellt, dass Rechtsradikalismus und Faschismus mit diskursiv angefeuerten Abstiegsängsten zusammenhängen und unterschiedliche Studien bezeugen heute, dass gerade auch Austeritätspolitik zu Wahlgewinnen rechter Parteien beiträgt [7]. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung ergab denn auch, dass die AFD Wähler*innen im Vergleich zum Durchschnitt der Wähler*innen besonders ausgeprägte Abstiegsängste haben – ob nun in der Unter- oder Arbeiter*innenschicht oder Mittelschicht oder im Osten oder Westen. Gepaart mit einem ausgewiesenen Rassismus (der sich u.a. in der Zuschreibung von Gewalt und Kriminalität gegenüber BPoC widerspiegelt, siehe Graphik) bis in die Mitte der Gesellschaft hinein, haben sich viele in der Vorstellung eingerichtet, dass nur ein nationalistisches Aufbäumen ihre Position verbessern oder zumindest absichern könne: ein Treten gegen ein vermeintlich bedrohliches Außen, das ins Innere eingedrungen ist.
Der Begriff ist also hochgradig bedeutungsschwanger. Und er lenkt von zentralen strategischen Zielen ab: einer Zukunftsvision für eine, wie Massimo Perinelli schreibt, „Gesellschaft der Vielen“ und kooperative Strategien dafür, wie wir dort ankommen.
In Anbetracht der aktuellen Situation brauchen wir strategisch also keine Mauern, sondern – für den Übergang – Feuerlöscher. Und diese können auch nicht in einem gut performten Linkspopulismus mit betont nationalistischen und verschwörungstheoretischen Overtones à la BSW gefunden werden [9].
Brände löschen geht nur von Hand, nicht nur durch demokratisch gewählte Parlamentarier*innen, sondern in Einbeziehung an nachhaltiger globaler Solidarität, Repräsentation, Kooperation, Redistribution, Anerkennung und Gerechtigkeit interessierte Zivilgesellschaften. Es wäre naiv zu glauben, dass eine Mauer einen Brand auf Dauer aufhalten kann, denn ob virtuell oder materiell, Mauern können umgangen oder zerstört werden – zumal wenn die Erbauer der Mauer sie selbst in diskursive Brandbeschleuniger tauchen.
Feuer löschen, von Hand, von unten, von uns
Es gibt reichlich Bestrebungen, die aktuellen Feuer zu löschen und nachhaltige demokratische bis revolutionäre Praxis zu etablieren. Beispiele für wehrhafte und Verantwortung übernehmende parlamentarische und außerparlamentarische bottom-up Politik und community-building gibt es an vielen Orten – und auch Beispiele für ihre Bedrohung. Neben Gesetzgebung und institutioneller Regulierung braucht es nämlich eine gut organisierte Zivilgesellschaft, um überzeugend die Sorgen lokaler und globaler Bevölkerungen aufzufangen. Dieser Abschnitt kann nur holzschnittartig in den Blick nehmen, wofür wir eigentlich und wie wir auch jetzt erfolgreich kämpfen.
Politische Basisarbeit
An manchen Orten haben Kommunistische Parteien heute wieder Erfolg. Ein gutes Beispiel dafür ist die Wahl einer Kommunistischen Bürgermeisterin im österreichischen Graz in 2021 und der Einzug der KPÖ in den Salzburger und Innsbrucker Gemeinderat. Diese Politiker*innen machen primär Sozialpolitik: sie kümmern sich um Wohnbau, Mietverhältnisse, Heizungsausfall, sind den ganzen Tag erreichbar und spenden sogar einen Teil ihres Gehalts. Politische Mandate werden als »Dienstleistung« praktiziert.
Sie löschen also aktiv Feuer im Alltag der Bürger*innen und sprechen diejenigen, die sich z.B. aufgrund immens gestiegener Mieten vom Abstieg bedroht sehen, ganz direkt an. Überzeugte Rassist*innen kann man mit dem Modell wohl nicht bekehren, aber vielleicht diejenigen, die eine vereinfachte antidemokratische Eliten- und Kapitalismuskritik vertreten. Ein Mix aus glaubwürdiger Basisarbeit und langfristiger antirassistischer Bildung kann Bürger*innen davon überzeugen, dass es wieder aufwärts gehen kann.
Darüber, ob eine Partei, die sich „Kommunistisch“ nennt, in (Ost)Deutschland Erfolg haben könnte, kann ich hier nicht orakeln. Aber Politik „von Unten“ liegt im Trend.
Organisierte Selbstbefähigung
Diese lokale politische Perspektive setzt sich fort in der Zusammenarbeit kommunalpolitischer Akteur*innen und diverser Nicht-Regierungs-Organisationen (NROs), die soziale Arbeit, (migrantische) Selbsthilfe, Umweltpolitik, Antigewaltarbeit, Mietenpolitik, Demokratieförderung etc. miteinander verknüpfen – und dabei sehr häufig die Grenzen des Begriffs „lokal“ sprengen. Sie setzen sich gezielt für mehr Gerechtigkeit, Freiheit und Sicherheit für Individuen und Gruppen ein, ehrenamtlich wie professionell im Arbeitsverhältnis, und stellen sich selbst-befähigend „global-lokalen“ Problemen.
Sie arbeiten systematisch und auch situationsabhängig an den Feuern, die die AFD ausnutzen möchte. Diese Organisationen sind ganz klar im Alltag „von Rechts“ bedroht, aber ihre Finanzierung wird auch durch die Sparpolitik der aktuellen deutschen Regierung bedroht [11].
Glokale Emanzipation durch Erinnerung
Um nachhaltig Feuer zu löschen, braucht es eine Langzeitstrategie, die historische Zusammenhänge in den Blick nimmt: die an den Nationalsozialismus, an Kolonialismus, an die globalen Verwicklungen des Kapitalismus und des cis-heteronormativen Patriarchats erinnert, Bildungs- und Reflexionsangebote macht, sich global und post-migrantisch solidarisiert – aber nicht im Namen von Staaten oder des Kapitals, sondern um von individueller und struktureller Gewalt betroffene Menschen zu emanzipieren und das Fortbestehen von Machtverhältnissen zu stören.
Hier sind vor allem NROs, Migrant*innenselbstorganisationen (MSOs), Aktivist*innen, Künstler*innen und Wissenschaftler*innen zu erwähnen, die selbst häufig Exklusion und Gewalt wegen verschiedener Marginalisierungsformen ausgesetzt sind. Sie stellen sich auch jetzt schon häufig vor und in die heißen Zonen – meist haben sie ja kaum eine Wahl, da sie um ihre eigenen Rechte kämpfen [12]. Wir mögen uns nicht immer eins sein, letztlich verfolgen wir aber ein Ziel: eine freiere und sicherere Welt für alle.
Prioritäten
Diese politische Praxis macht uns zu Feuer-löschenden und nicht Brand-mauernden – wenn man den Konventionen der Metapher gerecht werden möchte. Letzten Endes geht es nicht, aber dann doch um Begriffe. Denn als Ideologeme lenken Begriffe unsere Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Fokus oder sie lenken schlicht ab. Eine Brandmauer suggeriert, dass ein einfach einzudämmender Raum brennt und nicht die Republik. Aber die Ergebnisse der AFD bei den Landtagswahlen in Bayern (2023, 14,6%) und Hessen (2023, 18,4%) sowie Ergebnisse verschiedener Studien (Forsa, 14% Jugendliche sind der AFD zugewandt [13]) sprechen für sich. WO soll man denn eine Brandmauer überhaupt hin bauen? Wen soll sie ein- und aus-mauern? Das Bild eines leicht einzudämmenden Feuers funktioniert hinten und vorne nicht, wenn ungleich- und fremdmachende Politik die Gesellschaft fundamental teilt und der Ausbeutung und Exklusion freigibt. Die Konstruktion eines Wir, „der Deutschen“, ist dann auch nur eine bequeme Chiffre, ein Ideologem, das Unmut beruhigen soll, ohne echte nachhaltige Veränderungen zu schaffen.
Wir brauchen stattdessen langfristige Strategien zum Lös(ch)en des emotionalen Unmuts und der zu kurz greifenden Kritik vonseiten der faschistischen Bestrebungen und auch der Mitte. Bildungspraxis, Erinnerungspraxis, Wohlfahrtspraxis, Migrations- und (ent)Grenz(ungs)praxis, Verkehrspraxis, Wirtschaftspraxis, Klima- und Umweltpraxis – sind alle Sozialpolitik. Man muss den Rechten ihre Themen wegnehmen, ja – aber durch antikapitalistische, antirassistische, antiheteronormative Bildung, on-the-ground zivilgesellschaftliche Sozialpolitik und Parteien, die sich für ihre Basis interessieren. Nicht, indem man ihnen nach dem Mund redet.
Das ist alles natürlich in einer brennenden Welt nicht so einfach – aber auch da könnte man statt allein mit Verteidigungs- und Sicherheitspolitik zu mauern, mit kooperativer und solidarischer Praxis und Ehrlichkeit Feuer und Konflikt klein halten oder gar nicht mehr entstehen lassen.
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[1] https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/politik/landtagswahl/freie-waehler-keine-brandmauer-abgrenzung-afd-100.html
[2] Hummel, Steven & Anika Taschke (2023) Hält die Brandmauer?
[3] Heft, Kathleen (2018): Brauner Osten – Überlegungen zu einem populären Deutungsmuster ostdeutscher Andersheit. Feministische Studien, 36(2), 357-366.
[4] Eine Chiffre, die von Olaf Scholz (2022) und Friedrich Merz (2024) als „Zeitwende“ auch wieder aufgegriffen wurde.
[5] siehe MDR, FN 1
[6] https://www.berliner-zeitung.de/news/demokratieforscher-simon-franzmann-ist-gegen-pauschale-brandmauer-gegen-afd-li.2158524
[7] https://www.dezernatzukunft.org/en/unnotige-schwerlastprobe/
[8] https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-abstiegsaengste-nuetzen-rechten-3796.htm
[9] https://jungle.world/artikel/2024/18/montagsmahnwachen-wagenknecht-partei-nach-der-farce-die-tragoedie
[10] https://www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/frau-wagenknecht-soll-gew%C3%A4hlt-werden-ob-sie-nun-kandidiert-oder-nicht/ar-AA1nAM3P , Copyright dpa.
[11] https://www.tagesspiegel.de/politik/sparen-im-sozialen-und-beim-klima-so-will-lindner-die-haushaltslucken-schliessen-10872010.html
[12] Lierke, Lydia & Massimo Perinelli (2020) Erinnern Stören. Der Mauerfall aus migrantischer und jüdischer Perspektive. Verbrecher Verlag; JALTA – Positionen zur jüdischen Gegenwart; Decolonize Berlin; Kunst gegen Rechts und Lea Zey in Ostjournal etc.
[13] https://www.fr.de/politik/umfrage-daten-werte-afd-jugend-junge-generation-93059605.html
Jana Schäfer kam 1991 als Spätaussiedlerin mit ihrer Familie aus Kirgistan nach Deutschland und wuchs im Westen auf. In den deutschen Osten führte sie ihre Arbeit an der BTU Cottbus. Sie ist Soziologin mit Interesse an Migration, Rassismus, Gewalt, Gender und Sexualität, – und der Überwindung von Gewaltverhältnissen.