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Ost-West-Konflikt – 30 jahre Antifa
„Der Drops muss doch jetzt langsam mal gelutscht sein!“
Ein bisher unveröffentlichter Veranstaltungsmitschnitt zum Ost-West-Konflikt, auf der Tagung zum 30. Jahrestag der Antifa in Ostdeutschland, Dezember 2017 in Potsdam
von Dietmar Wolf
Oktober 2022
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In der ersten Ausgabe des neuen Ostjournals „Darum Osten“ fragten die persönlichen essayistischen Beiträge von Roland Zschächner und Jan Peter danach, was eine ostdeutsche Sozialisation heute bedeutet, warum der Ost-West-Unterschied noch heute wirksam und spürbar ist und was das für linke Politik in Ex-DDR und Ex-BRD bedeutet. Teile der Redaktion kamen im Juli auf der Radical Bookfair in Leipzig für eine Autorenlesung des Textes „Wo die Sonne aufgeht, gehört uns nichts“ zusammen. Das große Interesse des Publikums am Thema, die emotionalen Reaktionen und die rege Diskussion im Anschluss nehmen wir zum Anlass, die Auseinandersetzung um Osten, Identität und Emanzipation in den kommenden Ausgaben weiterzuführen. In diesem Rahmen veröffentlicht das Ostjournal in seiner zweiten Ausgabe ein bisher unveröffentlichtes Audiodokument aus dem Jahr 2017.
30 Jahre Antifa in Ostdeutschland
Perspektiven auf eine eigenständige Bewegung
5., korr. und erweiterte Auflage mit einem Vorwort von Manja Präkels
Christin Jänicke, Benjamin Paul-Siewert (Hrsg.)
ISBN: 978-3-89691-102-5
218 Seiten
Preis: 20,00 €
Es ist ein Veranstaltungs-Mittschnitt, im Rahmen einer Tagung zum 30. Jahrestag der Antifa in Ostdeutschland. Diese Tagung fand am 1./2. Dezember 2017 im Freiland Potsdam statt. Gleichzeitig zur Tagung wurde das erste überhaupt erschiene Buch zur Geschichte der ostdeutschen Antifabewegung präsentiert.
Ein für uns sehr interessanter Aspekt ist, dass die Moderator:innen der Veranstaltung 2017 zu Beginn betonen, dass ein großes Interesse an „spezifischer Ostgeschichte in Abgrenzung zur spezifischen Geschichte der westdeutschen Linken“ existiert und das es „insofern folgerichtig“ ist, „über Ost-West-Konflikte, Gegensätze, die es gegeben hat, zu reden“. Ebenso motivierte die Organisator:innen der hier dokumentierten Podiumsdiskussion, dass auch 2017 Konflikte entlang der Ost-West-Trennungslinie auftraten – damals etwa im Streit um die Rote-Hilfe-Zeitung Ausgabe 4 „Siegerjustiz“. Ein Indiz dafür, „dass das Thema auf alle Fälle eine gewisse Relevanz hat.“
Die Veranstaltung:
Nach einer kurzen Begrüßung durch die Moderator:innen redete zunächst Andrej Holm. Dieser, doch allgemein eher als Fachmann für Globalisierung, Miete und Wohnen bekannt, beschrieb Ursachen und Gründe, warum es für große Teile der ostdeutschen linksradikalen Zusammenhänge in der ersten Hälfte der 1990er Jahre (1992-1994/1995) notwendig war, sich von der Dominanz und dem „kolonialen Verhalten“ der westdeutschen radikalen Linken in allen Bereichen (Antifa, Infoladen, Antimilitarismus, Anarchismus, 3. Welt) abzugrenzen. Danach erinnerte Andrej Holm daran, dass es die Ostberliner Autonomen waren, die durch ihre harte Kritik und strikte Ablehnung der fundamental-maoistisch Kleinstpartei RIM dafür sorgten, dass deren Teilnahme erstmals thematisiert wurde und ein Ausschluss der RIM folgte. Abschließend berichtete Andrej Holm über die Gründung des politischen Diskussionszirkels O.S.T.B.L.O.C.K., der sich zum Ziel setzte, ab 1996 bis 1998 eine Definition der Kolonie Ostdeutschland zu entwickeln und daraus eine eigene Theorie und Handlungspraxis für die Ostdeutsche Linke zu erschließen. Als Ergebnis erschien in der ostdeutschen Zeitung telegraph 1998 eine Schwerpunkt-Ausgabe „Kolonie Ostdeutschland“
Isabella Wohlmann referierte über die Umland-Antifa und das Agieren als Ost-West-Berliner Gruppe in der Brandenburger Region der 1990er Jahre. Sie bewertete ihre Arbeit als positiv und erfolgreich. So seien sie dort nicht „kolonial“ eingeritten, sondern stets achtsam und respektvoll an die Gruppen und Initiativen in Brandenburg herangetreten. Statt vorgefertigter Schema F – Konzepte, boten sie den Gruppen vor Ort Unterstützung und Solidarität an. Sie berücksichtigten stets die individuellen Gegebenheiten in den jeweiligen Orten und Städte. Ganz im Gegensatz zur AAB0, die zur gleichen Zeit versuchte, die Brandenburger Gruppen dogmatisch in ihr Organisationskorsett zu pressen und „denen dabei die Luft zum eigenständigen atmen genommen haben“. Hier gab es heftige Konflikte zwischen Umland-Gruppe und AAB0. Letztendlich, so Isabella Wohlmann, war es so die logische Konsequenz, dass die AAB0 in Brandenburg scheitern musste. Sie hingegen haben maßgeblich zur nachhaltigen Stärkung vieler Antifa-Strukturen in Brandenburg beitragen können.
Die Diskussion:
Nicht unerwähnt bleiben soll, dass diese Veranstaltung eine der bestbesuchten der ganzen Tagung war und die Diskussion am Ende sehr rege, umfangreich und teils auch emotional geführt wurde. Grund genug, diese hier ebenfalls zu dokumentieren. Unter anderem nimmt Andrej Holm die nach wie vor wirksamen strukturellen Differenzen zwischen ost- und westdeutschen Linken in den Blick. Isabella Wohlmann bestärkt, dass sich westdeutsche Organisationskonzepte aus guten Gründen der Lage im ländlichen Ostdeutschland der 90er Jahre nicht überstülpen ließen.
Als Fazit können wir mitteilen:
Der Drops ist noch lange nicht gelutscht.
Die Diskussion wurde mit Einverständnis der Anwesenden aufgezeichnet. Persönliche Informationen wurden aus dem Mitschnitt entfernt.
Dietmar Wolf ist in Berlin/DDR geboren und aufgewachsen. Er war aktiver DDR-Oppositioneller, Hausbesetzer, Antifa, Antimilitarist, und betätigt sich seit über 30 Jahren als Freizeitautor und Feierabendjournalist unter anderem in der Redaktion des Ostjournals. Er lebt und arbeitet in Berlin/BRD.