„Pink Tank“ © 2022 Jördis Hirsch
Reaktionen auf den Russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine
„Heute wurde mein Land von Explosionen geweckt“
Wenn Bomben fallen, melden Künstler:innen sich zu Wort. Ob aus der Ukraine oder Russland, sie sprechen mit ihrem Publikum über den Krieg, dessen Auswirkungen, und ihre ganz eigenen Gedanken und Gefühle. Eine Collage.
von Maria Reiswich
Mai:Juni 2022
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Seit nun mehr als zwei Monaten wütet in der Ukraine ein schrecklicher Krieg. Ein Krieg, der sich schon acht Jahre zuvor angebahnt hat und seitdem die Ukrainer:innen um ihre Zukunft bangen lässt.
Und doch ist es ein Schock, als am 24. Februar für die einen die ersten Bomben zu hören sind und für die anderen die ersten Nachrichten und Anrufe auf den Bildschirmen erscheinen. Bald darauf gehen auch in den Sozialen Netzwerken die ersten Liveaufnahmen, Bilder und Reaktionen online.
Einige dieser Reaktionen und Statements habe ich auf Instagram verfolgt und hier zusammengetragen. Es sind Stimmen aus der ukrainischen und russischen Musikszene, die durch gemeinsame Fans, Kollaborationen und Auftritte eng miteinander verwoben sind. Diese Collage soll die Emotionen und den Aktivismus ihrer Autor:innen unmittelbar nach Beginn des Angriffs auf die Ukraine zeigen.
24.Februar
„Heute wurde mein Land von Explosionen geweckt. Heute hat die Regierung der Russischen Föderation einen Krieg in vollem Umfang gegen mein Land eingeleitet. Und jetzt wende ich mich an die russische Bevölkerung, für die meine Worte hoffentlich immer noch bedeutsam sind. Ich fordere Euch auf, diese Katastrophe zu stoppen. Ich rufe Euch auf, nicht Teil dieses Krieges zu werden. Wir brauchen niemanden, wir wollen unser Schicksal selbst bestimmen. Ich rufe ebenfalls meine russischen Kollegen auf, die ihre eigene Hörerschaft hat. Bitte erzählt ihnen, dass wir niemanden brauchen. Verbreitet die Nachricht, dass die Ukraine ein unabhängiger, souveräner Staat ist. Bitte, lasst uns zusammen dieses Desaster stoppen. Seid nicht still. Meine liebe Ukraine, ich bin mit Dir.“
(Quelle: Instagram @dorn_ivan, übersetzt aus dem Russischen)
25. Februar
„Ein Teil des Sprengstoffs ragt aus dem Herzen der Republik
Mein Großvater ist der netteste, will aber wirklich Krieg
Mein Großvater ist fair, frag die unschuldigen Toten, diejenigen, die unter Beschuss stehen, die mit nur halben Körpern
Vom Himmel fliegen Süßigkeiten, die Enkel, in blutrot gekleidet, sammeln diese auf
Kinder trampeln auf die Macht drauf
Wie schade, dass Großväter nicht im Krieg gehen drauf
Großvater ist, so wie er ist, wunderbar
Großvaters Datscha hat Dreck im Zimmer
Dort sind Zaren, Imperatoren und Prinzen
Intrigen und Strafen, fürchte die Macht
Oder kämpfe gegen sie, oder sing ihr was vor
Opa ist zum Sterben nicht bereit
Deshalb bitte ich Dich, Rodina Mat‘
Lege schwarzen Sesam aus, schließe den Sargdeckel
Für Großvater ist jetzt Schlafenszeit.“
(Quelle: Instagram @eevgenion, lyrische Übersetzung aus dem Russischen)
26. Februar
„Ich habe viele russische Fans! Ich wende mich jetzt an Euch! Drei Tage zuvor hat Putin den Krieg gegen die Ukraine eingeleitet. Meine Heimatstadt und das ganze Land werden bombardiert.
Was gerade in Kyiv passiert, es hätte nicht mal in meinen Albträumen vorkommen können, mir fehlen die Worte, um dazu Posts zu verfassen, ich kann vor Angst keine zwei Wörter zusammentragen … Ich bin in Starre, mein Sohn, Schwester und Mutter auch …
Die ganze Ukraine wird befeuert, Wohnhäuser explodieren, und sie erzählen Euch, dass wir uns selbst bombardieren, aber Ihr lebt in einer Diktatur und nicht wir, wer dem ganzen glaubt – der unterstützt Satan!!! In Fluchtunterkünften hungern Familien ohne Geld und ohne warme Bekleidung, auf den Straßen töten sie friedliche Menschen, Explosionen 24/7!
Ich bitte um Eure Unterstützung! Ich bitte, nicht stumm zu sein und der russischen staatlichen Propaganda zu widerstehen! Ich bitte darum, den Krieg mit aller Kraft zu stoppen!
Das ist ein Horror aus der Hölle.
Alle, die eine Seele und Menschlichkeit besitzen, dürfen und können jetzt nicht still sein!
Wir vertrauen in unsere Kämpfer, unsere Helden, die jetzt gerade heldenhaft kämpfen für unsere Leben, für unsere Unabhängigkeit, für unsere Nation, für unsere Freiheit!
Slava Ukrajini!!!!“
(Quelle: Instagram @kri_luna, übersetzt aus dem Russischen)
4. März
„Das erste Mal in meinem Leben bin ich nicht glücklich darüber, DJ zu sein. Mein Job ist dazu da, Menschen zu unterhalten und musikalisch zu bilden. Jetzt weiß ich nicht, wie ich diese Aufgabe im aktuellen Zustand bewältigen soll. Ich musste meine Heimat verlassen, in der wir seit zwei Wochen Krieg mit Russland haben. Wenn Ihr mir das am 23. Februar erzählt hättet, ich hätte es Euch nicht geglaubt. Aber … am 24. Februar hat es angefangen und ich wurde am frühen Morgen von den ersten Explosionen geweckt.
Ich kann an nichts anderes denken, nur an die Nachrichten und alles, was in der Ukraine passiert. Ich bin dankbar für das Verständnis der Clubs in Oslo und Liverpool, da ich meine Gigs letzte Woche absagen musste. Es ist für mich gerade schwer, mit Leuten zu kommunizieren, und ich kann mir schwer vorstellen, Musik zu spielen. Aber ich muss die Möglichkeit nutzen, um der Ukraine zu helfen. Das bedeutet, Menschen zu ermutigen, wenn ich schon so ein großes Publikum habe. Ich habe eine Stimme, ich habe die Sozialen Netzwerke und Euch, liebe Freunde. Danke für all die Unterstützung und Spenden, die Ihr gegeben habt. Ich widme diese Tour und alle kommenden Gigs der Ukraine und werde die Hälfte meines Honorars an ukrainische Stiftungen abgeben, die aktuell jede Hilfe brauchen. Solange, bis wir gewinnen und unser Land wiederaufgebaut haben! Link für Spenden und Beschreibung der Tour „STAND WITH UKRAINE“ in meiner Bio. Ich bitte Euch nicht zu spenden, aber ihr könnt, wenn ihr Euch danach fühlt.“
(Quelle: Instagram @nastia.dj, übersetzt aus dem Englischen)
7. März
„Hallo, wir sind ukrainische Musiker. Leider hört die Ukraine heute keine Musik. Stattdessen hören wir Explosionen, Schüsse, Weinen und Leiden. Deswegen sind Musikerinnen mit anderen Dingen beschäftigt als Musik.
Einige von uns kämpfen im Militär oder Einheiten der territorialen Selbstverteidigung, einige sind Freiwillige, helfen Geflüchteten und Menschen in belagerten Städten. Und einige sind gezwungen, ihre Familien zu evakuieren. Am 24. Februar hat die russische Armee die Ukraine angegriffen. Sie haben unsere Freunde und unsere Familien getötet und unsere Städte zerstört.
Mit diesem Brief wollen wir Euch darüber informieren, wie Ihr die Ukraine und die Ukrainer in ihrem Kampf ums Überleben, um die Unabhängigkeit, Freiheit und Demokratie effektiv unterstützen könnt.
Die Krise, die von diesem Krieg ausgeht, verursachte einen Strom an Geflüchteten in europäische Staaten. Die Menschen haben Angst und verlassen ihr Zuhause, verlieren ihr Eigentum und ihre Jobs, nur um ihre Leben und die Leben ihrer Kinder zu retten. Sie fliehen in ihnen unbekannte Länder mit dem Nötigsten und ohne Mittel, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Diesen Menschen kann geholfen werden.
Einige hatten nicht genug Zeit zu fliehen oder konnten es nicht, sie sind jetzt in der Hölle konstanten Beschusses und Explosionen. Jetzt sind sie isoliert, ihre Gesundheit und Leben sind in Gefahr. Sie brauchen Nahrung, Medizin und Hygieneartikel. Sie brauchen humanitäre und technische Unterstützung.
Die ukrainische Armee, die territoriale Selbstverteidigung und Freiwillige sind tapfer, manchmal auf Kosten ihres Lebens, um die Ukraine und die gesamte zivilisierte Welt vor der russischen Aggression zu verteidigen.
Russland kämpft nicht nur mit Waffen. Es stützt den Krieg durch Propaganda und Fakes. Wir brauchen Eure Hilfe in diesem Informationskrieg. Ihr könnt helfen, indem Ihr vertrauenswürdige Quellen lest und teilt.
Ihr könnt ebenfalls helfen, indem Ihr lokale Projekte für die Unterstützung der Ukraine organisiert. Bitte teilen!“
(Quelle: Instagram @alyona.alyona.official, übersetzt aus dem Englischen)
9. März
„Freunde, auf den Konzerten der anstehenden Tour wird es nicht fröhlich werden. Wir haben uns nie zu denen gezählt, die andere unterhalten. Vielleicht werden das die aller düstersten Konzerte unseres Lebens, aber wir denken, sie sind wichtig. Bei den Konzerten wird es um Frieden gehen, Konzert-Gebete für jene, die Schmerzen und Angst erleiden, sterben, sich verstecken und ihre Wohnungen verloren haben. Wir werden nichts verdienen, wir wollen die unterstützen, die leiden und ängstlich sind. Musik muss erklingen, ihre Aufgabe ist, zu heilen und zu trösten. Wir haben viele Freunde in der Ukraine. Unser Konzertmanager hat dort seine Eltern. Wir haben sehr viel Angst um sie und sind jeden Tag mit ihnen in Kontakt. Wir bleiben in unserem Land, solange wir können. Wir wollen unsere Hörer vereinen und unterstützen, solange wir können. Das ist, wofür wir geboren wurden und zudem das mindeste, was wir tun können. Das ist unsere Position. Danke, dass Ihr uns zuhört.“
(Quelle: Instagram @aigelband, übersetzt aus dem Russischen)
11. März
„Das große Land schläft
Ewig scheint der Abend.“
(Quelle: Instagram @_shortparis_, übersetzt aus dem Russischen)
Am 11. März, schaltet Russland die für den Staat unkontrollierbaren Medienplattformen von Meta Platforms ab. Viele russische Künstler:innen, Influencer:innen, Aktivist:innen und User:innen nutzen das Netzwerk weiterhin über VPN. Andere wechselten auf Telegram.