Familienbrüche Kapitalismus, Bilderreihe: Schnittstellen, Berlin 2004, Moritz Jost

© Sophia Hirsch: Schnee

UN-Klimakonferenz

COP29 in Aserbaidschan: Der grüne Kapitalismus als neues Paradigma

Die COP29, die am 11. November 2024 in Baku begann, inszenierte der Gastgeber Aserbaidschan als zentrales Event im globalen Kampf gegen den Klimawandel. Während die Veranstaltung als eine Lösung für die Klimakrise präsentiert wird, zeigt eine genauere Analyse, dass sie tief in den Dynamiken des Grünen Kapitalismus verwurzelt ist – einem System, das ökologische Lösungen mit den Prinzipien des Wachstums, der Konkurrenz und des Profits verbindet. Doch diese scheinbar „grüne“ Agenda übersieht die sozio-politischen Konflikte und die Menschenrechtsverletzungen, die im Hintergrund stattfinden, und verstärkt oftmals bestehende Ungerechtigkeiten.

von Rovshana Orujova
Januar 2025

>>

Crackdown gegen die Zivilgesellschaft

Im Jahr 2014 begann die aserbaidschanische Regierung mit einer starken Unterdrückung der liberalen Zivilgesellschaft im Land. Seitdem sind die Handlungsmöglichkeiten etablierter NGOs oder oppositioneller politischer Parteien massiv eingeschränkt. Auch die Gründung neuer Organisationen wurde nahezu unmöglich. Der Zugang zu Fördermitteln wurde blockiert und viele ausländische Organisationen, die einst in Baku aktiv waren, haben das Land verlassen. Die Zivilgesellschaft beschränkte sich auf Einzelpersonen und kleine, lokale Initiativen. Dies führte dazu, dass sich junge Menschen zunehmend auf Formen des Aktivismus einließen, die außerhalb klassisch liberaler NGOs lagen und radikalere Ansätze verfolgten. Allerdings wurde diese aufkommende Dynamik durch eine weitere Repressionswelle, die im vergangenen Sommer begann, erneut unterdrückt. Der jüngste und wahrnehmbarste Protest ereignete sich im Juni 2023 im Dorf Söyüdlü im Nordwesten Aserbaidschans. Dort versammelten sich Bewohner:innen, um gegen den Bau eines zweiten künstlichen Reservoirs zu protestieren, das zu massiver Wasserverschmutzung, dem Austrocknen der Wälder, Luftverschmutzung sowie zu Todesfällen von Menschen und Tieren geführt hat. Dieses Reservoir wird genutzt, um industrielle Abfälle der Gadabay-Goldmine zu entsorgen, die von der internationalen Firma Anglo Asian Mining PLC betrieben wird – einem Unternehmen, das Verbindungen zur aserbaidschanischen Diktatorfamilie hat. Der Protest wurde gewaltsam niedergeschlagen: Das Dorf wurde abgeriegelt, Polizeieinsätze mit Tränengas durchgeführt und zahlreiche Demonstrierende festgenommen, von denen viele noch immer in Haft sind. Das Dorf steht bis heute unter Polizeiblockade. Diese Ereignisse fanden zeitgleich mit der Blockade des Lachin-Korridors in Bergkarabach statt, bei der armenischen Bewohner:innen seit Dezember 2022 der Zugang zu grundlegenden Lebensmitteln, Medikamenten und anderen lebenswichtigen Gütern systematisch verweigert wurde und im September 2023 in einer gezielten ethnischen Säuberung Bergkarabachs durch das aserbaidschanische Regime endete.

 

Als ausländische Agenten diffamiert

Nach der vollständigen Übernahme aller umstrittenen Gebiete in und um Bergkarabach im Herbst 2023 richtete Aliyev seinen Fokus wieder auf die Innenpolitik und begann eine harte Unterdrückung der Zivilgesellschaft. Unabhängige Medien wie Abzas Media und Toplum TV wurden geschlossen, ihre Büros durchsucht, und Mitarbeitende sowie Redakteur:innen wegen schwerer Vorwürfe wie etwa Geldschmuggel festgenommen. Parallel dazu startete die Regierung eine Verleumdungskampagne, in der Aktivist*innen und politische Gruppen als US-Agent:innen und Empfänger:innen ausländischer Gelder von beispielsweise George Soros oder aus Armenien dargestellt wurden, die angeblich die Stabilität Aserbaidschans gefährden sollten. Die USA und Frankreich wurden beschuldigt, feministische und queere Bewegungen zu unterstützen, um Unruhen im Land zu stiften. Feministische und queere Politarbeit wurde von der Regierung als enorme Bedrohung für die nationale Sicherheit eingestuft – ein typisches Vorgehen eines antiwestlich eingestellten Diktators. Die Verhaftungen politisch aktiver Menschen dauern bis heute an – meist werden sie der Zusammenarbeit mit Armenier:innen und somit des Landesverrats beschuldigt. Viele Aktivist:innen sind entweder ins Exil gegangen oder haben ihre Aktivitäten aufgegeben und sich aus der politischen Öffentlichkeit zurückgezogen.

Europas marktkonformer Green Deal?

Die ökologische Modernisierung nimmt einen immer wichtigeren Platz auf der internationalen politischen Agenda ein. Die weltweite Kapitalakkumulation verlangt nach Lösungen für die schweren Folgen der Klimakrise. Getrieben wird dies von kapitalistischen Prinzipien, die auf Wettbewerb, Wachstum und Profit ausgerichtet sind, ohne dabei den Kapitalismus selbst als möglichen Teil des Problems zu sehen. Zahlreiche Länder setzen zunehmend auf „grüne“ Industriepolitik, um den Klimawandel zu bekämpfen. Ein prominentes Beispiel ist der Europäische Green Deal, der finanzielle Anreize und gesetzliche Rahmenbedingungen bietet, um grüne Innovationen voranzutreiben. Besonders nach der ausgeweiteten russischen Invasion der Ukraine im Winter 2022 geriet Europa in eine Energieversorgungskrise. In der Folge schlossen europäische Regierungen unter dem Vorwand der „grünen“ Modernisierung und Nachhaltigkeit schnell Abkommen mit verschiedenen Ländern, darunter Aserbaidschan. Der Grüne Kapitalismus soll als hegemoniales Modell zur ökologischen Transformation des Marktes dienen, doch diese Vision birgt Widersprüche. Der grüne Kapitalismus verursacht neue sozio-ökologische Kosten und verlagert diese oft auf andere Regionen und gesellschaftliche Gruppen. Kritiker:innen wie Ulrich Brand argumentieren, dass die Bemühungen um den Grünen Kapitalismus zwar technische Innovationen fördern, aber in der Praxis die bestehenden kapitalistischen Strukturen aufrechterhalten und sogar verstärken. Der Europäische Green Deal zeigt dies exemplarisch, indem er auf die Herausforderungen der Klimakrise reagiert, aber gleichzeitig die zugrunde liegende Logik des Kapitalismus nicht infrage stellt, welche durch ihren endlosen Wachstums- und Verwertungszwang die Klimakrise verursacht. Trotz der intensiven Klimakrise bleibt der Green Deal optimistisch und sieht die Bekämpfung des Klimawandels als Chance für „grünes“ Wachstum und als Möglichkeit, Europas moralische Überlegenheit als „erster klimaneutraler Kontinent“ zu behaupten.

Die einflussreichen politischen und wirtschaftlichen Kräfte, die das hegemoniale Projekt des Grünen Kapitalismus vorantreiben, haben das Ziel, die zukünftigen Bedingungen für Kapitalakkumulation durch ökologische Modernisierung zu sichern und die notwendigen politischen und legalen Rahmenbedingungen zu schaffen. Das wiederum ist Aufgabe der Nationalstaaten. Entgegen marktliberaler Erzählungen sollte also anerkannt werden, dass Marktprozesse stets in politisch-staatliche Kontexte eingebettet sind. Der Staat ist, wie etwa Joachim Hirsch betont, keine unabhängige wirtschaftliche Instanz, sondern ein wesentlicher Bestandteil der kapitalistischen Produktionsweise. Nationalstaaten übernehmen eine koordinierende Rolle, indem sie Konflikte verwalten und Kompromisse zwischen den dominierenden Akteuren und der Bevölkerung aushandeln. In diesem Zusammenhang spielen Konferenzen wie die COP29 in Aserbaidschan eine zentrale Rolle bei der Schaffung neuer Märkte zur stabilen Akkumulation und Regulierung von „grünem“ Kapital.

 

Soziale Konflikte an den Wurzeln des „grünen“ Kapitalismus

Dabei werden jedoch häufig die damit verbundenen sozialpolitischen Konflikte übersehen, die im Hintergrund stattfinden. Ein Beispiel hierfür ist die Situation in Aserbaidschan, wo die Repressionen gegen Aktivist:innen und Journalist:innen, die Unterdrückung von Umweltprotesten wie in Söyüdlü sowie die ethnische Säuberung von Armenier:innen aus Bergkarabach nach der Invasion durch Aserbaidschan im Jahr 2023 den Boden bereiteten, auf dem Baku die Klimakonferenz ausrichtet. Diese Spannungen sind eng mit der geopolitischen Agenda verbunden, in die auch die COP29 eingebunden ist. Denn Wachstum unter den Vorzeichen des Green Deal erfordert intensiven Rohstoffabbau für Elektrokomponenten wie etwa im Fall der GadabayGoldmine und der damit einhergehenden Umweltzerstörung vor Ort. Der Kapitalismus ist aufgrund seiner inhärenten Logik von Wettbewerb, Wachstum und Profit strukturell blind für seine eigenen sozialen und ökologischen Auswirkungen. Das Wachstumsimperativ dieses Wirtschaftssystems basiert auf Raubbau an der Natur – ob bei herkömmlichen fossilen Brennstoffen oder „grünen“ Megaprojekten.

 

Protest gegen COP29

Am 11. November 2024, dem Tag der Eröffnung der COP29 in Aserbaidschan, organisierte das Caucasus Feminist Anti-War Movement (C-FAM) – ein Bündnis politisch aktiver, aserbaidschanischer, armenischer und georgischer Antikriegs-Kollektive – eine große Demonstration in der georgischen Hauptstadt Tiflis. Die Veranstaltung mit dem Titel „COP29 – Stop fueling oppression!“ wurde von Greta Thunberg unterstützt und stieß auf lokale Resonanz. Ziel der Demonstration war es, die COP29 zu boykottieren und auf die Inhaftierung und Unterdrückung aserbaidschanischer Aktivistinnen, den Umweltprotest in Söyüdlü sowie auf die heuchlerische und autoritäre Politik Aserbaidschans aufmerksam zu machen. Insbesondere die ethnische Säuberung der Armenier:innen aus Bergkarabach im Jahr 2023 wurde thematisiert. Diese Demonstration rief Gegenwind von nationalistischen Gruppen in Aserbaidschan hervor, die die Demonstration und deren Unterstützung durch internationale Persönlichkeiten wie Thunberg als Provokation und von Armenier*innen „bestellt“ bezeichneten. Beispielsweise wurde kurz darauf zum Zweck der nationalistischen Hetze eine 21-minütige Sendung auf dem aserbaidschanischen regierungsnahen Propagandasender REAL TV ausgestrahlt, in der die Teilnehmer:innen der Demonstration des Landesverrats beschuldigt wurden. Der Sender behauptete, sie seien von Armenien finanziert worden, um gegen die politischen Interessen Aserbaidschans zu agieren. Besonders die Plakate wie „We – Azerbaijanis stand with Karabakh Armenians“ und „Ethnic Cleansing is not peace!“ wurden als Zielscheibe verwendet. Die aserbaidschanischen Teilnehmer:innen der Demonstration wurden im Rahmen einer öffentlichen Diffamierungskampagne als Verräter:innen dargestellt, indem ihre Identität aufgedeckt, ihre Namen in der Sendung öffentlich genannt und ihre Gesichter gezeigt wurden. Das hat unter anderem dazu geführt, dass ihre Familienangehörigen vor Ort in Aserbaidschan ihre Arbeitsplätze verloren. Die COP29 zeigt, wie der Grüne Kapitalismus als Lösung für die Klimakrise präsentiert wird, ohne die zugrunde liegenden sozialen und ökologischen Probleme des kapitalistischen Systems zu hinterfragen. Bis diese tieferliegenden Ursachen nicht angegangen werden – etwa durch eine grundlegende Umgestaltung des globalen Wirtschaftsmodells – werden Konferenzen wie die COP29 weiterhin die Umweltkrise nur verschärfen, anstatt sie zu lösen. Im Gegensatz zu modernisierungsaffirmativen Strategien könnten transformative Ansätze in Betracht gezogen werden. Diskussionen über solidarisches Schrumpfen laufen bereits seit einiger Zeit unter Begriffen wie „Post-Wachstum“ und „Degrowth“, als Alternative zu den kapitalistisch getriebenen Wachstumszwängen, die durch Konferenzen wie die COP29 am Laufen gehalten werden.
 

<<

Rovshana Orujova ist Sozialwissenschaftlerin an der Humboldt-Universität zu Berlin und ist derzeit auf der Vorbereitungsphase für ihre Promotion. Ihr Forschungsfokus liegt auf dem Zusammenhang von Geschlecht und Krieg aus materialistischer Sicht sowie auf gesellschaftspolitischen Analysen des postsowjetischen Südkaukasus.

Cookie Consent Banner von Real Cookie Banner