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Punkrock in Estland

Zu Besuch in der Ülase 12 in Tallinn

So muss es sein: harte Gitarrenmusik, Enge, Pogen und dann tropft noch der Schweiß von der Decke. All das gibt’s beim Ülsae-12-Festival in Tallinn. Doch nicht nur dafür lohnt sich der Besuch des sozialen Zentrums auf dem ehemaligen Fabrikgelände.

Bilder: ©Presseservice Rathenow
von Hardy Krüger
Dezember 2024

In Tallinn hat sich eine kleine, politisch interessierte Subkulturszene etabliert. Die Ülase 12 ist ihr soziales Zentrum. Regelmäßig finden dort Konzerte statt, einmal im Jahr auch als größeres DIY-Festival, zu dem Freunde aus ganz Europa anreisen.
Ein stillgelegter Industrieschornstein, von vergangenen Abgasen verfärbte Kalksandsteinfassaden sowie weitgehend funktionslose technische Bauelemente aus patiniertem Stahl oder Aluminium prägen das Gelände eines ehemaligen Zavods in der estnischen Hauptstadt Tallinn. Das Gelände aus Sowjetzeiten ist eine Oase kulturellen Lebens und ein dystopischer Kontrast zur touristisch schick gemachten mittelalterlichen Altstadt.

Soziales Zentrum Ülase 12

Dort existiert seit 2011 das soziale Zentrum (estnisch: Sotsiaalkeskus) „Ülase 12“, ein kleines Refugium für Tallinns antifaschistische und antiautoritäre Subkultur. Hier treffen sich hauptsächlich Punks, Gothics und Metals. Das Sotsiaalkeskus geht auf eine private Initiative zurück und umfasst einige wenige kleine Räume in einem der vielen ehemaligen Industriegebäude auf dem Gelände. Im Gedächtnis bleibt sofort der lange Flur, in dem Fotos vergangener Events wie in einer Galerie ausgestellt werden. Der Gang führt zum Herz der Ülase 12 – dem Konzertsaal. Der ist eigentlich nur ein größeres Wohnzimmer, doch ebenso gemütlich.
Es gibt eine kleine Bühne mit Antifa-Fahne, eine Couchecke und eine kleine Bar, wo alkoholfreie Getränke rar scheinen. Ist halt Punkrock – ebenso wie Barkeeper Fedya. An diesem Abend im August 2024 vor dem Unabhängigkeitstag macht der groß gewachsene junge Mann mit signalfarbenem Iro auch den Einlass. Freundlich erzählt er ein wenig über den Club. Etwa 60 Jugendliche werden an diesem Abend das Konzert besuchen. Fedya ist damit zufrieden, halt ein typischer Konzertabend in Tallinn. Die Szene ist klein, hat sich aber inzwischen international etabliert. An diesem Abend spielt unter anderem ein französischer Grindcore-Act, der von zwei ähnlich krachigen Bands aus Tallinn supported wird.

Das Ülase-Festival 2024

Größer wird das Publikum nur einmal im Jahr, wenn Ende August das Ülase-Festival ansteht. Dann kommen zwischen 200 und 300 junge und junggebliebene Menschen aus Europa und darüber hinaus zusammen. Der weit gereisteste Festivalteilnehmer kam dieses Mal aus California (USA). Das Festival wird musikalisch hin zum veganen Catering eigenverantwortlich organisiert – „Do-it-yourself“ (DIY). 2024 erstreckte es sich mit insgesamt 18 internationalen Bands und drei DJs über zwei Tage. Die Stilrichtungen waren hauptsächlich harte Gitarrenmusik: Oldschool Hardcore, Metal und Punk.
Gepogt wurde entsprechend wild, bis der Schweiß von den Wänden lief. Doch wurde aufeinander geachtet. Der Umgang war solidarisch.
Politische Solidaritätsbekundungen gab es ebenfalls. Fast nach jedem Liveact wurde dazu aufgerufen, für antiautoritäre Solidaritätskollektive in der Ukraine zu spenden, die wiederum internationale Freiwillige im Kampf gegen Putin und den russischen Imperialismus unterstützen.

Hardy Krüger ist seit 2012 als freier Journalist tätig. Seine Artikel behandeln vor allem gesellschaftspolitische Themen und sind hauptsächlich in einem Onlineformat der Wochenzeitung „Die Zeit“ zu finden. Als Fotojournalist gibt er darüber hinaus sozialen Bewegungen ein Gesicht. Etliche Reiseaufenthalte und viele persönliche Kontakte haben aus ihm außerdem einen Kenner des postsowjetischen Raumes gemacht.

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