© Raul Walch, „Alerta“, screen prints on silver dyed Arches Moulin du Gué paper / KUNST GEGEN RECHTS, Uferhallen, Berlin, 2022
Editorial
Rechte Mobilisierung im Osten
März 2023
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Wer von rechter Mobilisierung im Osten spricht, darf vom Westen nicht schweigen. Rechte Mobilisierung in Westeuropa brachte 2022 Le Pen auf über 40% bei der französischen Präsidentschaftswahl, setzte die „Postfaschistin“ Meloni an die Spitze der italienischen Regierung und auch in Spanien ist seit einem Jahr – zum ersten Mal seit Ende der Franco-Diktatur – eine rechtsradikale Partei an einer Regierung beteiligt. In Gesamtdeutschland feiert die AfD zehnjähriges Bestehen, Brandanschläge auf Unterkünfte für Geflüchtete gehen weiter und die Zahl antisemitischer Straftaten erreicht einen neuen Höhepunkt.
Lange war das Bild über „den Osten“ vom Narrativ über die weißen, männlichen, armen, ungebildeten und rassistischen Ostdeutschen geprägt. Dass dieses Bild aber vor allem Projektion ist, zeigen die Entwicklungen im Westen.
Und doch ist das Ostjournal aus gutem Grund kein Westjournal. Wir werfen in dieser Ausgabe einen Blick auf die Besonderheiten rechter Politik im Osten heute. Mit der PiS in Polen und Fidesz in Ungarn etwa, sind seit langem zwei ultrarechte Parteien in postsozialistischen Ländern an der Regierung. Zu ihrem Aufstieg und dem Erstarken rechter Bewegungen haben auch die als Transformation bezeichnete Rückkehr zum Kapitalismus und das Anwachsen des Nationalismus beigetragen. Auch der gegenwärtige Krieg in der Ukraine ist für viele rechte Bewegungen ein Kristallisationspunkt und Mobilisierungsanlass und wird fast alle Beiträge dieser Ausgabe durchziehen. Dabei ist die rechte Landschaft im Osten von nationalen, regionalen und ideologischen Unterschieden geprägt.
Eine Ausgabe zu rechter Mobilisierung kann für uns nur den Zweck haben, euch und uns, progressive Politik und antifaschistische Gegenwehr zu informieren. Wir als Redaktion des Ostjournals wollen keine rechten Narrative oder Bilder reproduzieren. Deshalb stammt die Bebilderung zu allen Beiträgen wie auch das Titelblatt dieser Ausgabe aus der Ausstellung Kunst gegen Rechts, die bereits in Erfurt, Gera und Berlin zu sehen war und bald wieder zu sehen sein wird. Die neunte Ausstellung der Reihe KUNST GEGEN RECHTS nimmt den 30. Jahrestag des rechtsradikalen Brandanschlages von Solingen als Anlass, um kritisch auf aktuelle gesellschaftliche Konflikte einzugehen.
Auf unseren Call for Papers zum Schwerpunkt dieser Ausgabe folgten viele Zusendungen von Beiträgen, die auf spezifische Entwicklungen in verschiedenen Ländern, aber auch auf übergreifende Gemeinsamkeiten eingehen. Dafür möchten wir allen Autor:innen noch einmal herzlich danken und euch die Beiträge im Einzelnen vorstellen.
Die Beiträge
Aktuell häufen sich die Befürchtungen vor einem Kriegsausbruch in Moldau und seiner abtrünnigen, unter russländischem Einfluss stehenden Region Transnistrien. Yelizaveta Landenberger hat sich zu einer Recherchereise nach Chișinău begeben und berichtet über Identität und Propaganda: von der dortigen Medienlandschaft, dem Tauziehen zwischen pro-EU und pro-russischem Lager und den anhaltenden Protestwellen im Land.
Das Streben nach der Einverleibung Moldaus in das rumänische Staatsgebiet ist immer noch Teil einer „großrumänischen“ Mobilisierung. Felix Heubaum untersucht in seinem Artikel Totgesagte leben länger: Die extreme Rechte in Rumänien und geht auch der Frage nach, welche Rolle der Krieg im Nachbarstaat Ukraine für Rumäniens Rechte (nicht) spielt. Dafür verfolgt er ihre Kontinuitäten bis zum faschistischen Regime an der Seite Nazideutschlands.
Um Medien und Protest bzw. ihr Verbot dreht sich auch der Prozess gegen die Studierendenzeitschrift DOXA in Russland. Das Strafverfahren wegen Unterstützung regierungskritischer Proteste endete vor einem Jahr mit der Verurteilung von vier Redakteur:innen zu zwei Jahren Strafarbeit. Eine von ihnen ist Alla Gutnikova. Ihr Schlussplädoyer: Das letzte Wort im Prozess ist ein politisches und persönliches Statement gegen Gewalt und Zensur und für die Freiheit.
Auch gegen Minderheiten geht der russische Staat vor und das mit ausgesprochen religiöser Patina. Vor zehn Jahren wurde das Gesetz zum Verbot von „LGBT-Propaganda“ eingeführt und 2022 noch einmal verschärft. Jede positive Darstellung homosexueller oder queerer Leben steht nun unter Strafe. Diese queer- und homofeindliche Politik ist eng mit nationalistischer und christlich-konservativer Mobilisierung verbunden, die den Mainstream-Diskurs in Russland bestimmt. Henriette Pesch seziert den Kampfbegriff Gejropa und seine Geschichte.
Ebenfalls oft religiös begründet ist rechte Politik der PiS in Polen, die seit 2020 Abtreibung unter fast allen Umständen unter Strafe stellt. Feministischer Protest gegen diesen Einschnitt in das Recht auf reproduktive, körperliche Selbstbestimmung brachte Hunderttausende auf die Straßen. Weniger im medialen Blick ist der Versuch eines Teils der polnischen Linken, sich in einer neuen Partei gegen die PiS zu organisieren. In Berlin spricht Thomas Stange mit einem Aktivisten von Razem über die Politik der PiS und linke Gegenbewegung.
Unweit der polnischen Grenze aber weit unter Kapazität arbeitet die Belegschaft der PCK Raffinerie in Schwedt. Infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine fließt kein sibirisches Rohöl mehr durch die Pipelines. Die Bundesregierung ist dennoch um Rettung des Standorts bemüht. Schwedt soll nicht aufgegeben und der AfD sowie anderen Rechten als Mobilisierungsfeld überlassen werden. Die Hintergründe liefert Marek Winter in Die Stadt, der Krieg und die Krise.
Hingegen fest etabliert als Mobilisierungsfeld und Kampfplatz für Neue Rechte und AfD ist der Kulturbetrieb. Angriffe auf kritische Kunst, auf Künstler:innen und Theater, die sich nicht in den Dienst einer „nationalen Sache“ stellen, gehören zur rechten Strategie. Mit Hannah Arendt fragt Lea Zey nach den Ursachen und geht dem Kulturkampf von rechts auf die Spur.
Seit vielen Jahren im Dienst einer nationalistischen Sache steht das SS-Gedenken in Lettland. Lettische SS-Angehörige und alte wie neue Nazis aus ganz Europa treffen sich zu Aufmärschen und Kranzniederlegungen, etwa auf dem SS-Friedhof in Lestene. Kern dieser Zusammenkünfte ist ein unverhohlener Geschichtsrevisionismus, der die Befreiung vom Faschismus als das eigentliche Verbrechen darzustellen sucht. Hardy Krüger gibt Einblicke über die rechte Pilgerstätte in einer Fotoserie vom Presseservice Rathenow.
Auf ähnliche Kontinuitäten und nationale Geschichtsschreibung baut Bulgariens Rechte. Auch hier treffen sich Neonazis aus verschiedenen Ländern zum sog. Lukov-Marsch. Wie sie zudem die repressive Anti-Minderheiten-Politik des bulgarischen Staatssozialismus heute fortführen wollen, beleuchtet aus Sofia Stefka Nikolov in ihrer Kleinen Genealogie rechtsextremer Ideologien in Bulgarien.
Auf dem Friedhof der Geschichte befindet sich noch ein weiterer Anlaufpunkt für Neonazis. Über die ehemalige faschistische Hausbesetzung in der Weitlingstraße im Ostberliner Stadtteil Lichtenberg schreibt Dietmar Wolf im zweiten Teil seiner Reihe zu illegalen Haus- und Wohnungsbesetzungen in der DDR.
Und damit diese Fülle rechter Umtriebe im Osten nicht so stehen bleibt, sagen wir es nochmal mit dem Titelblatt der Ausgabe: Alerta! Bleibt wachsam!
euer Ostjournal